Johann Nestroy
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Die Bühne stellt eine Schule dar, die Eingangstüre ist im Prospekt, rechts und links, ganz im Vordergrunde, Seitentüren. An der linken Seite zieht sich, von der Seitentüre angefangen, über zwei Kulissen eine drei Stufen hohe Tribüne, worauf das Katheder steht, längs der Seitenwand hin. Am Ende dieser Tribüne nach rückwärts steht die Rechentafel. Im Hintergrunde ist einiger Raum frei. Dem Katheder vis-à-vis stehen vier Bänke hintereinander, dem Zuseher die Seite zugekehrt. Im Vordergrunde ist freier Raum.
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Lied |
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1. |
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Ich wär’ schon ein Knab’, |
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2. |
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In der Schule, i dank’, |
(Nach dem Liede.)
I wart’ jetzt nur, bis i ein Jüngling bin, dann geh’ i in die Welt, und das is g’scheiter, als in die Schul’. Die Welt is die wahre Schule, denn da lernt man alles von selbst. In der Schul’, da muß man die Lektionen aufsagen, sonst is man dumm; wenn man aber in der Welt eine tüchtige Lektion kriegt, so muß man still sein und gar nix dergleichen tun, dann is man g’scheit! In der Schul’ wird man alle Tag’ verlesen, in der Welt, wenn man da einmal verlesen is, so is es genug auf ewige Zeiten. In der Schul’ muß man ruhig sein, in der Welt is es just gut, wenn man recht viel Lärm macht; in der Schul’ hab’n s’ extra eine Eselbank, in der Welt sind die Eseln auf allen Plätzen zerstreut. Darum herrscht auch nur in der Schule diese Indiskretion, daß s’ ein’ sagen können: »Marsch, auf die Eselbank!« In der Welt, wenn ich da in ein Gasthaus oder in ein Kaffeehaus gehn werd’, riskier’ ich das nicht. Oder wenn ich in ein Theater geh’, da kann, kein Sitzaufsperrer zu mir sagen: »Ich bitt’, Sie sind ein Esel, Sie g’hör’n auf diese Bank!« Das geht nicht! Mit einem Wort –
Nettchen (leise zu Franz). Aber der widerwärtige Willibald –
Franz (zu Willibald). Was machen Sie schon so früh in der Schule?
Willibald. Ich habe eine Strafe zu schreiben.
Franz. Können Sie das nicht zu Hause?
Willibald. Der Herr Magister hat befohlen, daß ich die Strafe in der Schul’ schreibe. Dies ist eine Verschärfung, denn mir ist es die größte Strafe, in der Schule zu sein. Übrigens müssen Sie ja gewußt haben, daß ich komm’, denn wenn kein Schüler da ist, was macheten Sie als Aufseher da?
Franz (imponierend). Still!
Willibald (mit sarkastischer Bescheidenheit). Ich bitt’, ich hab’ es nicht gewußt, daß die Mamsell Nannett’ auch unter Ihrer Aufsicht steht.
Franz (gebieterisch). Werden Sie schweigen!
Willibald. Nein, ich werd’s dem Herrn Magister verraten, dann schenkt er mir die Straf’!
Nettchen (für sich). Himmel –!
Franz (ärgerlich). Ich werde das Lineal nehmen und –
Willibald. Und ein’ Spektakel machen –? Natürlich, warum sollten Sie als Aufseher das Aufsehen vermeiden?
Nettchen (leise zu Franz). Ach, Franz, besänftigen Sie ihn lieber, daß er nicht plaudert!
Willibald (stolz zu Franz). Und übrigens, machen Sie sich nicht so patzig! Sie sind kein wirklicher, sondern nur ein qua Schulgehilfe, ein qua Substitut, qua Supplent, und das von einem Magister, der auch nur qua Magister ist, also der Qua von einem Qua, folglich gänzlich quaqua! Und das in einer Schule, die wahrscheinlich am längsten Schule gewesen ist!
Franz. Setzen Sie sich zum Schreiben!
Nettchen (mit ängstlicher Besorgnis). Am längsten Schule gewesen, sagen Sie, Willibald? (Leise zu Franz.) Gewiß hat er von seiner Mutter etwas gehört –
Franz (leise zu Nettchen). Ängstigen Sie sich nicht!
Willibald. Meine Mutter weiß alles! (Setzt sich an die Ecke der letzten Bank und spricht das Weitere, indem er sich aus seiner Schultasche alles zum Schreiben ordnet.) Diese Schule hier auf dem Schlosse ist begründet worden von unserer Gutsfrau, von der Frau Baronin, und ist bestimmt für alle die zahlreichen Kinder der zahlreichen herrschaftlichen Beamten, Offizianten und Domestiken hiesiger Herrschaft, denn die Frau Baronin wollte uns nicht in die allgemeine Schule gehen lassen, damit wir Schloßkinder von der Ungezogenheit der allgemeinen Schulkinder nichts anziehen. Der Herr Baron ist aber der entgegengesetzten Meinung. Da nun aber die Frau Baronin tot und der Herr Baron seit dieser Zeit, wie es heißt, erst recht lebendig ist und in allem nunmehr seinem eigenen Kopf oder vielmehr dem Kopf des Herrn Landrats folgt, so wird diese Schule über kurz oder lang aufgehoben. Das hat meine Frau Mutter gesagt, und meine Frau Mutter weiß alles!
Nettchen (leise zu Franz). Mein armer Vater kommt um seinen Dienst!
Franz. Sie müssen nicht gleich das Schlimmste denken! Wer weiß –
Nettchen (nach der Mitteltüre horchend). Ich hör’ ihn, er ist’s –
Wampl. Die Vorigen.
Wampl (in freudiger Aufregung zur Mitteltüre eintretend). Er kommt! Tochter, in eigener Person kommt er! Das hat was zu bedeuten!
Nettchen. Wer kommt?
Wampl. Der Herr Wirtschaftsintendant, der Herr von Wichtig! Dieser unerwartete Besuch und mein eingereichtes Gesuch – das hat offenbar was zu bedeuten! (Franz erblickend). Ah, Rottmann, Sie sind da?
Willibald (boshaft). Das hat auch was zu bedeuten!
Wampl (etwas stutzend). Was? Was haben Sie gesagt, Willibald?
Franz. Willibald hat eine Strafe zu schreiben, und ich habe eben die Bücher zur Preisverteilung geordnet, und nun fürchtet er die Bedeutung, daß er dabei leer ausgehen dürfte.
Willibald. O, nein! Ich hab’ es ganz anderster gemeint!
Wampl (zu Willibald). Sie sind ein nachlässiger Bube!
Willibald (spitzig). So fleißig bin ich freilich nicht wie der Herr Aufseher, der doppelte Aufsicht halt’t und vielleicht selber eine dreifache nötig hätt’!
Franz (auffahrend). Verwegener Pursche –!
Nettchen (leise zu Franz). Mäßigen Sie sich um meinetwillen!
Wampl (strenge zu Willibald). Warum ist die Strafaufgab’ noch nicht geschrieben?
Willibald (stockend). Ich habe – ich werde – ich –
Nettchen. Er hat sie mir bereits übergeben, und ich habe sie, glaub’ ich, auf Ihren Schreibtisch gelegt, lieber Vater.
Wampl. Ah, das is was anders!
Willibald (pfiffig, für sich). Sie will mich gewinnen durch eine edle Lüge! Gut, so will ich es auch durch keine unedle Wahrheit vergelten. Ich will es verschweigen, daß sie dem Aufseher seine Geliebte ist. Daß er sich aber untersteht, ihr Liebhaber zu sein, das muß heut’ noch aufg’stochen werd’n. Den Aufseher verraten, der da lebt vom Verrat, das ist Ehrensache der Schülerschaft, das ist die süßeste Pflicht der Schulbüberei!
Wampl (zu Willibald). Gehn Sie nach Haus!
Willibald. Ich danke für die Belohnung des Fleißes und der guten Sitten. (Verbeugt sich und geht zur Mitte ab.)
Wampl (zu Franz). Lassen Sie mich jetzt allein und kommen Sie erst mit den übrigen Schülern! (Geht gestikulierend auf und nieder.)
Franz (gekränkt). Mit den Schülern –? Bin ich denn –
Nettchen (leise zu Franz). Für mich sind Sie der Meister, der mich die Liebe gelehrt! Genügt Ihnen das nicht?
Franz (leise zu Nettchen). Nettchen, himmlisches Nettchen! Sie erheben mich auf ein Katheder, das mich stolz auf alle Professoren der Welt herabsehen läßt. (Eilt zur Mitte ab.)
Wampl. Nettchen.
Wampl (seinen Ideengang verfolgend). Seine Reden haben was zu bedeuten!
Nettchen (erschreckend). Wie –?! Sie haben gehört, bester Vater –?
Wampl. Jedes Wort, welches der Intendant hat fallen lassen, hat der Amtsschreiber mir hinterbracht.
Nettchen. Ich bin so überrascht, so erfreut, Sie einmal voll froher Hoffnungen zu sehen.
Wampl. Ich war ein Narr mit meinen Ängsten! Schon daß man mein Gesuch um Zulag’ zwölf Jahr’ hat liegen lassen, schon das hat etwas zu bedeuten gehabt. Man hat nur die Gelegenheit abgewartet, rasche, energische Schritte zu tun! (Nach der Mitteltüre horchend.) Ich glaub’ – richtig, er kommt! Geh hinein, Tochter, mach’ mich auf eine Viertelstunde kinderlos!
(Nettchen geht in die Seitentüre rechts ab.)
Wampl. Dazu Herr von Wichtig und Stanislaus.
Wampl (die Mitteltür respektvoll öffnend). Was seh’ ich? Glück und Ehre treten, als Wirtschaftsintendant personifiziert, über meine Schwelle.
Wichtig (tritt, Stanislaus an der Hand führend, zur Mitte ein). Herr Schulmeister –! (Zu Stanislaus.) So laß dich nicht so ziehn, Pursche!
Wampl. O, es ist immer gut, wenn Kinder sich ziehen lassen, es kommen nur zu viele ungezogene hieher!
Wichtig (mit leisem Kopfnicken, sich zu einem süßsauren Lächeln zwingend, welche Nuance sich bei jeder ähnlichen Stelle wiederholt). Sind sehr freundlich, Herr Schulmeister! Im Vertrauen, ich habe Ihnen nur ein Wort zu sagen.
Wampl (sich verneigend). Ein Wort aus Ihrem Munde, und man hat genug!
Wichtig (ärgerlich). Aber, Stanislaus, wenn du nicht zu weinen aufhörst –!
Wampl (mit einschmeichelndem Tone). Warum weint denn mein Stanisläuschen?
Stanislaus. Weil ich in die Schul’ gehn muß.
Wichtig (zu Stanislaus). Wirst du still sein!
Wampl. Er weint, weil er noch vieles zu lernen hat, möchte gern schon alle Wissenschaften absolviert haben, jedenfalls ein höchst lobenswerter Ehrgeiz!
Stanislaus. Spielen möcht’ i!
Wichtig (leise, aber grimmig zu Stanislaus). Pursche –!
Wampl. Es gibt sehr nützliche Spiele für die Jugend, und es gereicht dem lieben Stanislaus zur Ehre, daß er so viel Sinn für das Nützliche hat.
Wichtig. Sind sehr freundlich, Herr Schulmeister! Sind Sie also doch im ganzen zufrieden mit ihm?
Wampl. Unendlich, ausgezeichnet, wie könnt’ ich anders!?
Wichtig. Wie steht es mit der Handschrift?
Wampl. Gut – sehr gut – wenn erst einige Leserlichkeit eingetreten sein wird, exzellent!
Wichtig. Und mit der Geographie?
Wampl. Vortrefflich! Die fünf Erdteile hat er sich vollkommen zu eigen gemacht! Was braucht so ein junger Mensch mehr als fünf Weltteile?
Wichtig. Und mit der Naturgeschichte –?
Wampl. Ausgezeichnet! Im Tierreich is gar keiner so zu Haus wie er!
Wichtig. Aber das Rechnen, das Rechnen –!?
Stanislaus. Ich rechne alle Tag’ und zähl’ die Minuten, bis d’ Schul’ aus is!
Wampl. Brav, Stanislaus; Sie sind also im Geiste immer der Schule um eine Stunde voraus! (Zu Wichtig.) Der überflügelt uns noch alle!
Wichtig. Sind sehr freundlich!
Wampl. Übrigens gehört das mehr in unser Bereich. Wenn die Jugend schon berechnen wollte, was hätten denn dann die Alten voraus?
Wichtig (zu Stanislaus). Bedank’ dich doch, (leise) du Stock!
Stanislaus. Fürs Schulgehn, da bedank’ ich mich schon lang’!
Wampl. Witzig ist er auch! Ja, dieser Stanislaus ist wirklich ein Genie!
Wichtig. Oh –! Ich wollte Sie nur fragen, im Vertrauen, ob er bei der bevorstehenden Preisverteilung Hoffnung hat.
Wampl. Wie können der Herr Intendant zweifeln?
Wichtig. Ich dachte nur – die Vaterliebe macht für gewisse Mängel etwas blind!
Wampl. Und die Gerechtigkeit muß ex officio stockblind sein! Die Allegorienerfinder haben ihr die Augen verbunden – warum? Damit sie nicht sieht, wohin sich die Waagschale neigt, und ’reintun kann, was sie will.
Wichtig. Sind abermals sehr freundlich.
Stanislaus. Ich bitt’ –
Wichtig (zu Wampl). Ich kann also drauf bauen und (mit geheimnisvoller Wichtigkeit einen gesiegelten Brief hervorziehend) diesen Brief absenden? Herr Wampl, es steht Ihnen eine große Überraschung bevor!
Wampl (mit großer Spannung). Etwa gar – in bezug – betreffenderweise anbelangend –?
Wichtig. Noch darf ich nichts sagen, aber –
Wampl (entzückt). In diesem »Aber« liegt eine Welt von Aussichten –!
Stanislaus. Herr Schullehrer, ich bitt’ –
Wampl (zu Stanislaus). Was wünschen der kleine Herr Wirtschaftsintendant?
Stanislaus. Ich möcht’ ausg’stoßen werd’n!
Wichtig. Stanislaus, du wirst eine Ohrfeige –
Wampl. Bitte gehorsamst, das ist Bescheidenheit, er will den minder Talentierten nicht im Wege stehn!
Wichtig. Der Herr Magister sind so freundlich –
Wampl. Nur pflichtschuldige Devotion!
Wichtig. Wenn Sie erst meinen Jüngsten sehen sollten –
Wampl (mit erkünsteltem Staunen). Er wird doch den Stanislaus nicht übertreffen?
Wichtig. Bei weitem, sag’ ich Ihnen!
Wampl. Ja, wenn das so fortgeht, dann müssen ja die noch zu Erwartenden reine Phänomene werden!
Wichtig. Herr Magister sind gar zu freundlich! Nun leben Sie wohl, der Brief wird abgesendet, und Sie werden ungemein überrascht sein über die bevorstehende Überraschung! Nun komm, Stanislaus!
Stanislaus (freudig hüpfend). Ja, gehn wir! Gehn wir fort!
Wampl (den Wirtschaftsrat hinauskomplimentierend). Welch lebhafter Geist in diesem herrlichen Knaben!
(Wichtig und Stanislaus gehen zur Mitte ab.)
Wampl. Dann Nettchen.
Wampl (allein). Schulmeister sein, ein riegelsamer Mann sein und den Stanislaus nicht beuteln, da gehört was dazu!
Nettchen (aus der Seitentüre rechts kommend). Nun, lieber Vater, er ist fort – aber Sie sind so in Aufregung –?
Wampl. Hoffnung – Freud’ – Aussicht – Macht der Verhältnisse –
Nettchen. Ach, das ist schön!
Wampl. An der Macht der Verhältnisse is eben nichts Schönes! Der Stanislaus muß ein Prämium kriegen!
Nettchen. Nun, so gibt man dem dummen Buben eins!
Wampl. Das is eben die Schwierigkeit! Er is ein dummer Bub, und ich bin ein gerechter Mann – da schaut kein Prämium heraus!
Nettchen. Vielleicht eifert es ihn für die Zukunft an!
Wampl. Das is wahr, so geht’s! Als der faulste Bub in der ganzen Schul’ hat er die meiste Aneiferung nötig!
Nettchen. Man könnte ihm in dieser Beziehung mehr als ein Prämium geben.
Wampl. Du hast es abermals getroffen! Prämium für die Geographie – extra für die Geschichte – extra für die Sprachlehr’ – separat für die Rechenkunst – ganz apart für die Naturlehr’ und insbesondere für die gute Aufführung.
Nettchen (überlegend). Und die bekäme alle –?
Wampl. Alle der Stanislaus!
Nettchen. Und was kriegen denn die andern?
Wampl. Die kriegen gar nix!
Nettchen. Damit werden sie nicht zufrieden sein!
Wampl. Dann kriegen sie Schläg’!
Nettchen. Dann werden sie erst recht weinen!
Wampl. Sollen sich trösten! Alles geht vorüber, in hundert Jahren sind ganz andere Buben auf der Welt!
Nettchen. Aber die Gerechtigkeit –!
Wampl (sich hinterm Ohr kratzend). Ja, freilich, die verflixte Gerechtigkeit – hm – hm!
Nettchen. In der Sprachlehre ist der kleine Grob der beste.
Wampl. Und sein Vater, der Inspektor, lädt mich alle Sonntag’ ein! Der Bub muß ein Prämium kriegen!
Nettchen. In der Geographie verdient’s der Försterische Anton.
Wampl. Durch die Protektion seines Vaters verlauft sich manch herrschaftlicher Has’ in meine Kuchel – ’s tut’s nicht ohne Prämium!
Nettchen. Des Kellermeisters Blasius und des Gärtners Peter sind im Rechnen und in der Naturgeschichte ausgezeichnet.
Wampl. Dem einen sein Vater versorgt mich mit Wein, dem andern seiner mit Erdäpfeln, da kann ich doch den Söhnen ’s Prämium nicht entziehn!
Nettchen. Für die gute Aufführung allenfalls, um ihn anzuspornen –
Wampl. Wen? Den Stanislaus spornen? Gereitgertert werden, das wär’ ihm am g’sündesten.
Nettchen. Auf die Art fiele der Stanislaus ganz durch.
Wampl. Das darf wieder aus intendantischen Rücksichten nicht g’schehn. Mir wird der ganze Kopf konfus! – Wieviel Bücher hat der gnädige Herr zur Preisverteilung geschick0
Nettchen. Vierundzwanzig.
Wampl. Und Schüler haben wir –?
Nettchen. Fünf in der obern Abteilung, dreizehn in der untern.
Wampl. So kriegt der Stanislaus sechs Bücher, einer zwei, die andern jeder eins, so is ihnen ’s Maul g’stopft.
Nettchen. Einer sollte aber doch ganz durchfallen.
Wampl. Hast recht, es is wegen dem abschreckenden Beispiel.
Nettchen. Aber welcher?
Wampl. Der Willibald, der Gassenbub! Seine geizige Mutter hat ohnedem noch nie –
Nettchen. Ich glaube, die Schüler kommen schon!
Wampl (auf die Uhr sehend). Ja, es is Zeit, der Vortrag beginnt! Bring’ mir meinen Kaffee!
(Nettchen geht Seitentüre rechts ab.)
Wampl. Dazu Franz Rottmann, die Schulknaben; darunter Blasius Pichler, Sebastian Grob, Peter Petersil, Anton Waldfuchs und Stanislaus.
(Während dem folgenden Chor treten die sämtlichen Schulknaben, von Franz geführt, paarweise zur Mitte ein und marschieren am Katheder vorüber.)
Chor |
Die Knaben in die Schule gehen müssen, |
(Zum Schluß des Chores haben sich alle im Vordergrunde aufgestellt.)
Stanislaus (zankend zu Peter Petersil). Was drängst du vor? Mein Vater is Wirtschaftsintendant!
Peter Petersil. In der Schul’ is ein Bub’ wie der andere.
Franz. Was habt ihr denn?
Stanislaus (zu Peter). Ich bin ein junger Herr!
Peter Petersil (ihn höhnend). Oi!
Stanislaus. Herr Magister, der Peter Petersil spott’t mich aus!
Wampl (welcher während dem Eintreten der Schüler schon gravitätisch das Katheder bestiegen). Petersil, ich sag’ Ihnen zum letzten Mal –
Mehrere Schüler. Der Peter hat garnix getan!
Wampl. Ruhig, meine Herren Jünglinge! Setzen Sie sich ordentlich auf Ihre Plätze!
(Die Schüler steigen trotz den Bemühungen des Aufsehers lärmend über die Bänke auf ihre Plätze.)
Peter Petersil (während dem Tumult schreiend zu Blasius). Obs d’ weiter gehst! Das is mein Platz!
Anton Waldfuchs. Der Bumlische Hansi steigt mir auf ’n Kopf!
Mehrere Schüler (untereinander). Wennst nicht aufhörst, ich schlag’ zu! – Weiter da! – Der gibt kein’ Fried’!
Franz (strenge). Wird jeder hingehn, wohin er gehört?
Wampl. Aber, meine Herren Jünglinge, was sind Sie denn für Buben! (Mit dem Lineal aufs Katheder klopfend.) Still!! Jetzt wollen wir verlesen. Ich sehe schon wieder einige, die nicht da sind. (Verlesend.) Franz Rottmann!
Franz. Hier!
Wampl. Das versteht sich von selbst! Wär’ nicht übel, wenn der Aufseher Schul’ stürzen ging’! (Verlesend.) Stanislaus Wichtig!
Stanislaus (unwillig und halb weinend). No freilich, ich bin ja eh da!
Wampl (in sehr freundlichem Tone). Weiß es, junger Herr, habe gleich beim Eintritt das Vergnügen gehabt zu bemerken – der Herr Papa immer wohlauf?
Stanislaus. Von was sollt’ er denn krank worden sein in der halben Stund’?
Wampl. Freut mich ungemein! – (Verlesend.) Anton Waldfuchs!
Anton Waldfuchs. Hier!
Wampl (verlesend). Peter Petersil!
Peter Petersil. Hier!
Wampl. Schreien Sie nicht so!
Stanislaus (gähnt).
Wampl. Der junge Herr Wirtschaftsintendant scheinen nicht gut geschlafen zu haben! – Was ich sagen wollte – (zu Peter) geht Ihre Frau Mutter schon wieder aus?
Peter Petersil. Gestern hat sie den Vatern aus ’n Wirtshaus g’holt.
Wampl. Das gehört nicht hieher! Wir sind nicht hier, um Diskurse zu führen. – Ist also immer wohlauf, mein werter Freund Petersil?
Peter Petersil. Blau is er auf ein’ Aug’, heut’ fruh haben sie sich erst wieder versöhnt.
Wampl. Still! Hier ist unser Zweck –
Anton Waldfuchs (gähnt).
Wampl. Was gähnen Sie denn?
Peter Petersil (gähnt).
Wampl (zu Peter). Und Sie auch? Das werd’ ich mir verbieten.
Peter Petersil. Ich kann nix davor.
Anton Waldfuchs. Ich auch nicht.
Peter Petersil. Der Stanislaus gähnt immer, (gähnend) und wenn man einen gähnen sieht, so muß man mitgähnen.
Wampl. Leere Ausrede! Wer hat Ihnen das gesagt, daß man – (gähnt) mitgähnen muß?
Die Schüler (lachend). Der Herr Magister gähnt auch!
Wampl (drohend). Wie sich einer un – (gähnt) tersteht –
Die Schüler (lachen). Hahahahaha!!
Wampl (ärgerlich). »Silentium!« hab’ ich gesagt, Ruhe –!
Peter Petersil. In Thüringen –
Wampl (entrüstet). Welche Keckheit! Peter, ich werde Sie –
Peter Petersil. Ich lern’ Geographie.
Wampl. Ja so! (Im Verlesen fortfahrend.) Sebastian Grob!
Sebastian Grob. Hier!
Wampl (verlesend). Willibald Schnabel!
Peter Petersil (mit verstellter Stimme). Hier!
Wampl. Wo sind Sie? Ich seh’ Sie nicht.
Peter Petersil (wie oben). Hier!
Wampl. Ein anderer hat für ihn geantwortet – wer war’s?
Stanislaus (aufzeigend). Der Peter Petersil hat »Hier!« g’sagt.
Wampl. So? (Zu Peter.) Sie schreiben drei Seiten Strafe aus der Sprachlehre!
Peter Petersil (drohend zu Stanislaus). Wart’, Aufstecherl!
Stanislaus (aufzeigend). Der Christoph Ries is auch nicht da! Ich verrat’ alles, justament!
Wampl (zu Stanislaus). Kultivieren Sie dieses schöne Talent! Der Christoph und der Willibald sollen ihrer Strafe nicht entgehn.
Frau Schnabel. Willibald. Die Vorigen. Dann Christoph Ries.
Frau Schnabel (Willibald hereinziehend). Nur da herein, du Taugenichts!
Wampl (ärgerlich, für sich). Kommt mir die auch noch über den Hals!
Frau Schnabel. Herr Magister, da bring’ ich das ungeratene Kind, welches seiner Mutter nur Kummer und Ärger macht.
Wampl. Und mir Gall’ und Verdruß – o, dieser Willibald! –
Frau Schnabel. Während ich glaub’, er sitzt in der Schul’ und lernt, find’ ich ihn am Gartenzaun des Herrn Wirtschaftsintendanten Birn’ stehlen.
Wampl. Entsetzlich! Stehlen überhaupt – Verbrechen! Birn’stehlen – extra Baumfrevel! Obrigkeitliches Eigentum – crimen laesae!
Willibald. Birnen, welche sich die Freiheit nehmen, über die Umzäunung hinauszuhängen, sind eine herrenlose Sache, und jeder vorübergehende Bube kann Herr derselben werden. Das hat mir einer gesagt, der das ganze corpus juris in Leib hat g’habt. Birnen überhaupt sind ein Gemeingut, denn sie sind ein gemeines Obst, gut sind sie aber deswegen doch auch, folglich sind sie ein Gemeingut, und folglich hab’ ich sie nicht gestohlen.
Frau Schnabel. Und ich wollt’ nix sagen, wenn sie schon zeitig wären; aber halb unreif! G’sundheit und Leben setzt so ein Bub aufs Spiel! (Hält dem Magister ein Tüchel hin, in welchem Birnen eingebunden sind.)
Wampl (ist vom Katheder herabgekommen, nimmt die Birnen in Empfang und kostet eine). Noch etwas hart, nicht saftig. Ich werde sie chemisch dünsten lassen. (Legt den Bündel aufs Katheder.) Solches Obst ist wahres Gift für die Jugend.
Willibald. Warum nicht gar Gift! Der Herr Magister sind nicht der Doktor Orfila, nur der hat das Privilegium, in jedem Glenkas Gift zu finden.
Wampl. Werden Sie schweigen!?
Frau Schnabel (zu Willibald). Kecker Fratz! Übrigens (zu Wampl) war er’s nicht allein, der Christoph Ries war auch dabei!
Christoph Ries (ein sehr kleiner Junge, schleicht sich zur Mitteltür herein).
Willibald. Der Ries hat mich dazu verführt!
Stanislaus (Ries verratend, welcher sich ungesehen in seine Bank schleichen wollte). Da is er! Herr Magister, der Ries is da!
Wampl (grimmig). Wo ist dieser entsetzliche Ries? Dieser –! (Ihn hervorziehend.) Her da, Rädelsführer!
Christoph Ries. Ich kann nix davor, der Willibald –
Wampl (zu Christoph). Sie werden hier knien, sich selbst zur Straf’ und für alle andern zum schauderhaften Exempl!
Christoph Ries (im Vordergrunde kniend). Wann’s nicht anders is –
Wampl. Und der Willibald als der Verführte steht eine Stunde heraus!
Frau Schnabel (zu Willibald, der sich neben den knienden Ries hinstellt). Siehst du, so geht’s, wenn die Kinder unfolgsam sind.
Christoph Ries (nimmt aus der Schultasche Birnen, ißt davon und verteilt an die zunächst Sitzenden).
Wampl (zu Stanislaus). Der liebe Stanislaus werden es dem Herrn Papa rapportieren, wie sehr mir das Beste seines Obstes am Herzen liegt.
Frau Schnabel. So eine Aufführung gerad’ die Tag’ vor der Preisverteilung!
Willibald (zupft Ries an den Haaren).
Christoph Ries (Willibald mit der Faust ins Knie stoßend). Wirst ein’ Fried’ geben!
Frau Schnabel (vertraulich zu Wampl). Unter uns gesagt, Herr Magister, ein g’scheiter Bub is er doch, ein pfiffiger Kopf!
Wampl. Wer? Ihr Willibald?
Frau Schnabel. Und ich hoffe, Sie werden ihm die heutige Sittennote bei der Preisverteilung nicht entgelten lassen!
Wampl. Was? Ich glaub’ gar, die Frau macht sich Hoffnung –?!
Frau Schnabel. Na, soll er etwan keinen Preis kriegen? Für was zahl’ ich denn ’s Schulgeld?!
Willibald (zupft Ries an den Haaren).
Christoph Ries (stoßt mit der Faust nach Willibald wie oben). Wirst aufhör’n?!
Willibald. Der Ries stoßt mich!
Wampl. Für so einen ungezogenen Bengel einen Preis!?
Frau Schnabel. Den Preis kriegt er fürs Lernen!
Wampl. Mit ’n Patzenferl kann er ’n haben!!
Willibald (zupft den Ries an den Haaren).
Christoph Ries (stoßt wie oben den Willibald). Ich sag’s dem Herrn Magister!
Willibald (verklagend). Der Ries stoßt mich!
Wampl (zu Christoph). Ja, was is denn das?! Mitten in der Straf’ geben Sie noch keine Ruh’?
Christoph Ries. Der Willibald –
Wampl. Das sind ja abscheuliche Jünglinge!
Christoph Ries. Er reißt mich immer!
Willibald. Der Ries hat ang’fangt!
Wampl (zu Willibald). Wie können Sie sich unterstehn –?
Willibald. Ich riß ihn, den Ries, weil er mich stieß, ich tat es aus Notwehr, und Notwehr ist eine erlaubte Handlung.
Frau Schnabel. Sehn Sie, zu antworten weiß er halt doch!
Wampl. Ein vorlauter Bub is er, der gar nichts weiß, das will ich der Frau gleich beweisen! In Ihrer Gegenwart werd’ ich ihn examinieren.
Frau Schnabel. Gut, da wird sich’s zeigen –
Wampl (zu Willibald, indem er das Katheder besteigt). Her da vors Katheder und geantwortet auf meine Fragen!
Frau Schnabel (zu Willibald, der vors Katheder tritt). Laut und couragiert! Zeig’, daß du mein Sohn bist!
Wampl. Zuerst aus der Naturlehre! Wie nennt man alles Erschaffene mit einem Namen?
Willibald. Man nennt es die Natur, und deswegen kann es auch keine Kunst gewesen sein, alles zu erschaffen, denn wenn es ein Kunstwerk wäre, so wär’ es keine Natur!
Wampl. Keine Absprünge! Was versteht man unter dem Ausdruck »Firmament«?
Willibald. Man versteht darunter den leeren Raum über uns.
Wampl. Gefehlt! In der Natur gibt es keinen leeren Raum.
Willibald. Man war lange Zeit der Meinung, daß es in der Natur gar keinen leeren Raum gäbe. Diese Behauptung jedoch wurde durch verschiedene Menschenköpfe widerlegt, in denen sich ganz leerer Raum vorgefunden. Auch hört man die Theaterdirektionen, namentlich im Sommer, sehr häufig über leere Räume klagen!
Wampl. Reden Sie nicht so albern! – Was ist die Erde?
Willibald. Ein Himmelskörper, auf dem die Unglücklichen ein höllisches Leben haben.
Wampl (ärgerlich den Kopf schüttelnd). Was ist der Mond?
Willibald. Auch ein Himmelskörper.
Wampl. Wissen wir, ob der Mond ebenfalls von Geschöpfen bewohnt wird?
Willibald. Der Mond ist von Geschöpfen bewohnt.
Wampl. Wir vermuten es, aber wir wissen es nicht.
Willibald. Ich weiß es, denn im Mond werden auch Häuser gebaut. Die Meteorsteine nämlich sind nichts anderes als Lunar-Ziegeln, welche uns unvorsichtige Mond-Maurer auf d’ Nasen fallen lassen. Ferner wissen wir auch, daß die Mondgeschöpfe viel größer sind als die bei uns. Zum Beispiel, ein Mondkalb is schon ein enormes Viech, während ein irdisches Kalb nur von mittlerer Größe ist.
Wampl. Sie sind selbst ein – ich mag mich nicht ärgern! – Zur Mathematik! Wieviel Rechnungsarten gibt es?
Willibald. Es gibt verschiedene Rechnungsarten. Die leichteste ist die algebraische, da schreibt man nur überall darunter: »Gleich x«, und es is nie g’fehlt, weil »x« jede unbekannte Zahl ausdrückt: »x« ist nämlich die Abkürzung von: »Schmeck’s!«
Wampl. Keine Allotria! Kann man ungleichnamige Größen miteinander multiplizieren?
Willibald. Das kann man nicht.
Frau Schnabel (leise zu Willibald). Warum nicht? Zeig’ justament, daß du alles kannst!
Willibald (zu Wampl). Man kann es.
Wampl. So? Also multiplizieren Sie mir siebzehn Pfund mit drei Ellen, was kommt denn da heraus?
Frau Schnabel (leise zu Willibald). Rasch antworten, er weiß’s selber nicht.
Willibald (zu Wampl). Siebzehn Pfund, multipliziert mit drei Ellen, das macht netto sechs Kilogramm, dreizehn Hektoliter, achtundzwanzig Millimeter, zweieinhalb Gallonen, sechs Yards.
Wampl. Sie wissen gar nichts!
Willibald. Rechnen S’ nur nach!
Wampl. Jetzt die Weltgeschichte! Wie wird selbe eingeteilt?
Willibald. Die Weltgeschichte teilt man ein in die alte und in die neue. Beide unterscheiden sich wesentlich voneinander. Wien, zum Beispiel, war vor zweitausend Jahren eine kleine römische Stadt, hatte wohl römische Kultur, aber noch keine Vorstädte. Spittelberg, Liechtental, Hundsturm und Lerchenfeld wurden erst in den Zeiten der Aufklärung hinzugebaut. – In der alten Geschichte hat Wien »Vindobona« geheißen, und Vasen und Urnen hat es in Überfluß gegeben. In der neuen Geschichte heißt es »Wien«, und Heferln, Reindln und Schaffeln werden auf’n Stephansplatz verkauft. In noch älterer Zeit war Wien ein Wald, und wahrscheinlich zur Gedächtnisfeier wird jetzt noch in der Kärntnerstraßen Holz gehackt. – Überhaupt haben sich die Zeiten sehr geändert. In der alten Zeit hat es Römer und Griechen gegeben – in der neuen Zeit haben wir Salamimänner und Razen. In der alten Zeit hat es trojanische, punische und andere Kriege gegeben, an denen jeder ehrenwerte Staatsbürger teilnehmen mußte. In der neuen Zeit haben sie Federkriege, in die sich kein honetter Mensch einlassen kann. Warum aber diese neue Zeit die Zeit des Fortschrittes genannt wird, das is die einzige Frag’, wo ich keine Antwort drauf weiß.
Wampl. Alles larifari! Ihre Antworten haben keine Hand und kein’ Fuß.
Frau Schnabel. Wenn s’ nur ein’ Kopf haben!
Wampl. Zum Beschluß noch was aus der Naturgeschichte. Was ist der Mensch?
Willibald. Der Mensch is das Wesen, welches die oberste Stufe in der sichtbaren Schöpfung einnimmt, welches sich sogar für das Ebenbild Gottes ausgibt, worüber sich jedoch Gott nicht sehr geschmeichelt fühlen dürfte.
Wampl. Grundfalsch! Der Mensch ist ein Säugetier!
Willibald. Der Mensch ist allerdings ein Säugetier, denn er saugt sehr viel Flüssigkeiten in sich, das Männchen Bier und Wein, das Weibchen Kaffee. Der Mensch ist aber auch ein Fisch, denn er tut Unglaubliches mit kaltem Blut und hat auch Schuppen, die ihm zwar plötzlich, aber doch – g’wöhnlich zu spät – von den Augen fallen. Der Mensch ist ferner auch ein Wurm, denn er krümmt sich häufig im Staube und kommt auf diese Art vorwärts. Der Mensch ist nicht minder ein Amphibium, welches auf dem Land und im Wasser lebt, denn mancher, der schon recht im Wasser is, zieht noch ganz nobel aufs Land hinaus. Der Mensch ist endlich auch ein Federvieh, denn gar mancher zeigt, wie er a Feder in die Hand nimmt, daß er ein Viech ist.
Wampl. Genug! – Dritte Klass’, durchaus dritte Klass’!
Frau Schnabel. Was? Mein Sohn dritte Klass’–!?
Wampl. Ich werd’ ihm lernen, nach dem Schulbuch antworten!
Frau Schnabel. In der Schul’ kann keiner was, und mein Sohn is grad so gut wie alle andern! Der Herr Amtmann hat recht, wenn er sagt, diese Lehrkanzel muß eingehn.
Wampl. Ich sitz’ schon sechs Wochen drauf, und sie ist nicht eingegangen, folglich –
Frau Schnabel. Die ganze Schul’ auf ’n Schloß wird aufgehoben!
Wampl. O, eine Schul’, wo ich an der Spitze steh’, hebt man nicht so leicht auf. Und der Amtmann soll das gesagt haben? Der Amtmann? Die Frau geht jetzt an der Stell’ mit mir –!
Frau Schnabel. Wohin?
Wampl. Zum Amtmann!
Frau Schnabel. O, ich fürcht’ mich nicht!
Wampl. Ich will ihm unters Gesicht treten, er soll mir’s ins Gesicht wiederholen, denn einer Verleumderin glaub’ ich nichts aufs Gesicht.
Frau Schnabel (mit steigender Heftigkeit). Was wär’ ich?!
Wampl. Nur vorwärts! Drei Gesichter werden jetzt auf eine furchtbare Art konfrontiert!
(Beide geben wütend zur Mitteltüre ab.)
Die Vorigen ohne Wampl und Frau Schnabel.
(Wie Wampl und Frau Schnabel fort sind, steht Christoph Ries auf, schleicht sich zur Türe und sieht hinaus; dann eilt er mit ausgelassener Fröhlichkeit zurück.)
Christoph Ries. Is schon drunten über der Stieg’n!
Alle Schüler. Der Magister ist fort! Julieh! (Springen auf.)
Franz (aufstehend). Halt! Das geht nicht so! In Abwesenheit des Herrn Magisters hab’ ich die Schule zu halten.
Willibald (zu Franz). Die Schule halten können Sie, aber die Schüler nicht!
Franz. Das werd’ ich Ihnen zeigen! (Besteigt das Katheder.) Alles setzt sich auf seine Plätze nieder!
Die Schüler (setzen sich nach einem kurzen Gemurmel).
Franz. Christoph Ries! Sie sind der Schlimmste, Sie bleiben knien!
Christoph Ries (sich wieder auf seinen Platz kniend). Ich bin’s schon g’wöhnt.
Franz. Richten Sie sich alle zum Diktandoschreiben!
Die Schüler (ordnen ihre Schreibtheken und Federn).
Franz. Und Sie, Willibald, setzen sich einstweilen und schreiben das Diktando mit!
Willibald. Wenn ich wollte, könnte ich auch auf meiner stehenden Strafe bestehen und –
Franz. Tun Sie, was ich Ihnen sage!
Willibald. Meinetwegen, ich will diesmal Nachsicht haben.
Franz (zu den Schülern). Schreiben Sie! (Diktiert aus einem Buche.) »Als Sokrates den Giftbecher geleert, sprach er –«
Peter Petersil (schreibend). Wir können nicht nach!
Willibald (schreibend). Sie überstürzen uns!
Franz (sehnsuchtsvoll nach der Seitentüre rechts sehend, sich vergessend). O Nettchen, Nettchen –!
Peter Petersil (halb für sich). Gehört das auch dazu?
Willibald (Franz erinnernd, weiter zu diktieren). Wir sind schon so weit!
Franz (sich sammelnd und im Diktieren fortfahrend). »mit größter Seelenruhe zu seinen Schülern –
Blasius Pichler. Wie schreibt man denn »Seele«?
Willibald. Mit »ö, h«!
Franz (wie oben, sich vergessend, indem er das Buch sinken läßt). Ach, die Liebe tötet mich noch! (Nach einer Pause sich wieder sammelnd.) Wo sind Sie geblieben?
Willibald. Bei der Liebe!
Franz. Wer erlaubt sich, Spaß zu machen? (Strenge.) Was haben Sie geschrieben?
Willibald (das eben Geschriebene vorlesend). »Als Sokrates den Giftbecher geleert, sprach er, ›o Nettchen, Nettchen‹, mit größter Seelenruhe zu seinen Schülern, ›ach, die Liebe tötet mich noch‹.«
Franz. Was –?
Willibald. Der Herr Diktator haben vielleicht –
Franz (verlegen, sich ein Ansehen geben wollend). Ich glaube gar – in Zukunft –
Nettchen. Die Vorigen. Dann Babett.
Nettchen (kommt aus der Seitentüre rechts, auf einem Präsentierteller den Kaffee für den Magister). Was ist das? Der Vater nicht hier?
Franz. Ich vertrete eben seine Stelle.
Nettchen. Der Kaffee ist wohl sehr heiß – (stellt das Mitgebrachte auf das Katheder).
Franz. Und ohne Zweifel wird er in wenig Minuten –
Babett (aus Seite rechts und unter der Türe stehenbleibend). Mamsell Netterl, Sie haben den Zucker vergessen! (Zieht sich wieder zurück.)
Nettchen. Ach ja, der ist oben im Schrank! (Will fort.)
Franz. Die Alte wird ihn ja bringen.
Nettchen. Die kann nicht hinauf, ich muß schon selbst – (eilt in die Seitentüre rechts ab).
Franz. Sie könnten fallen, sich einen Schaden tun – erlauben Sie, daß ich – (eilt ihr nach).
Die Vorigen ohne Franz, Nettchen und Babett.
Willibald. Ha, wir sind ohne Aufsicht, kein Rottmann, kein Schullehrer!
Alle. Juheh!
Willibald. Jetzt bin ich derjenige, welcher –! Aber statt eines trockenen Vortrages will ich euch das geschmalzene Lied von der Hauskatze singen, und wenn ihr alle gehörig dreinschreits, dann werden die erbeuteten Birnen als Prämien verteilt.
Christoph Ries. Das Obers – ah, das Obers! (Geht um Tisch und nascht aus der Oberskanne.)
Willibald.
Lied |
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Bub’n, ihr lernts jetzt das ABC, jetzt das ABC! |
Chor. Was nicht g’rad’ geht etc.
Willibald.
2. |
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Sechzehn Jahr’, sechzehn Jahr’ is d’ junge Frau, |
Chor. Was nicht g’rad’ geht etc.
Willibald.
3. |
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Zu spät noch am Fenster, das schickt sich nicht, pfui! |
Chor (wie oben).
Alle Schüler (steigen auf die Bänke; Willibald wirft Birnen aus, die Schüler fangen sie jubelnd auf). Juheh!
Wampl. Die Vorigen.
Wampl (zur Mitte eintretend). Also so geht’s zu, wenn ich den Rücken kehr’!? Ihr heillosen Buben! Ihr Tagdiebe! Ihr –!
(Alle ziehen sich erschrocken nach ihren Plätzen.)
Stanislaus. Der Christoph Ries hat ang’fangen!
Wampl. O dieser Ries! Dieser gräßliche Ries is immer an allem schuld! Wo ist er!?
Stanislaus (hinter das Katheder zeigend). Da hat er sich verkrochen!
Wampl (Christoph Ries hervorziehend). Her da, du Unheilstifter, du –! Was versteckt Er denn da –? (Zieht ihm die Hand hervor, mit welcher er die Oberskanne verbergen will.) Mein Obers –!! Er hat es ausgetrunken –! Teufelsbub! Und gar nichts mehr drin, ich muß vormittag einen Schwarzen trinken! Aber knien soll Er –
Stanislaus. Die Straf’ hat er ja schon!
Willibald. Klein is er von Natur, knien muß er eh, eine größere Verkürzung is ja nicht mehr möglich!
Wampl. Knien soll er, nicht nur heut’, sondern so lang, bis er alle Schulen absolviert hat! An der Stelle!
Christoph Ries (kniet sich an seinen vorigen Platz). Meinetwegen – ’s Obers war halt doch gut!
Wampl (zu den übrigen). Und ihr habt euch unterstanden, auf die Bänke zu steigen?! Wer sich selbst erhöht, der soll erniedrigt werden! Nieder! Die ganze Schul’ kniet heraus!
(Die Schüler knien sich murrend im Vordergrunde nieder; Willibald, Peter Petersil und Stanislaus zögern.)
Wampl. Werdet ihr gehorchen!?
Peter Petersil. Wenn alles kniet, dann is es keine Schand’! (Kniet sich zu den andern.)
Willibald (für sich). Einmal stehen, einmal sitzen, einmal knien – Abwechslung muß sein! (Kniet sich neben Peter.)
Wampl (zu Stanislaus). Sie sind ausgenommen, Sie haben die erste Anzeige gemacht, Sie erhalten Amnestie.
Stanislaus. Ich hätt’s auch meinem Vater g’sagt!
Franz. Die Vorigen.
Franz (die Zuckerbüchse in der Hand haltend, tritt aus der Seitentüre rechts; für sich, als er Wampl erblickt). Himmel – er ist schon zurück –!?
Wampl. Und wo ist denn der Aufseher? He! Franz Rottmann!
Stanislaus. Da schleicht er sich grad von der Mamsell Nannett’ heraus!
Wampl. Milliontausendelement! Heißt das Schul’ halten!?
Franz. Entschuldigen, ich habe Ihnen den Zucker aus dem Schrank geholt.
Wampl. O, ich zweifle nicht, daß Sie in süßen Angelegenheiten drin waren, aber das werd’ ich Ihnen austreiben, Sie Pursche, Sie!
Franz (gekränkt). Herr Magister, ich bin hier Aufseher –
Wampl. Aber statt auf die schlimmen Buben zu schauen, schaun Sie auf mein braves Mädl! Von nun an is es aus mit der Aufseherei! Ich degradiere Sie zum Schuljungen.
Franz (halb gekränkt, halb begütigend). Darüber bin ich schon lange hinaus.
Wampl. Ich werd’ Ihnen das Gegenteil beweisen. Niedergekniet wie die andern!
Franz. Herr Magister, Sie sind rasend –
Die Schüler. Oj! Der Aufseher muß knien!
Wampl (grimmig, zu Franz). Niedergekniet, oder –!
Franz. Nun ja denn –! (Kniet sich vor Wampl nieder.) Kniend flehe ich Sie an um die Hand Ihrer Tochter!
Wampl. Frechheit ohnegleichen! Die Hand meiner Tochter –? Meine Hand werd’ ich Ihnen geben, früher muß aber ein Lineal drin sein! (Nimmt wütend das Lineal vom Katheder.)
Franz. Das ist zuviel! (Aufspringend.) Ich habe ertragen, was möglich war – aber Schläge – nein! (Will fort.)
Wampl. Wohin? Dageblieben!
Franz. Nein, ich gehe, und Sie sehen mich als Schwiegersohn, oder niemals wieder! (Eilt zur Mitte ab, indem er an den eben eintretenden Herrn von Wichtig anstößt.)
Wichtig. Die Vorigen ohne Franz.
Wichtig (im Eintreten). Oho, der Herr hat es pressant!
Wampl (höchst betroffen, für sich). Teufel, der Herr Intendant –!
Wichtig (vortretend). Herr Magister –
Wampl. Was verschafft mir den abermaligen Genuß der Ehre –?
Wichtig. Sind sehr freundlich! Sie werden staunen – ’s ist periculum in mora – doch was seh’ ich –?! Die Jugend sämtlich auf den Knien!
Wampl (zu den Schülern leise, aber sehr strenge). Stehn Sie auf, alle, und machen Sie Ihr Kompliment!
Die Schüler (stehen auf). Wir machen unser Kompliment! (Machen vor Herrn von Wichtig einen Kratzfuß und knien sich allsogleich wieder nieder.)
Wampl (leise, aber grimmig zu den Schülern). Aufstehen! hab’ ich gesagt, aufstehn, ihr Rangen!
Wichtig. Recht gute, fromme Knaben, mir ist leid, daß ich störte –
Wampl (verlegen). Es war mehr eine Übung in der Devotion, die Jungen werden heute oder morgen Bittsteller, und da schadet es nicht –
Wichtig (zu den Schülern). Meine lieben angehenden Jünglinge, begeben Sie sich schleunigst zu Ihren Herrn Eltern, lassen Sie sich Ihre respektiven Sonntagskleider anlegen und erscheinen Sie in einer halben Stunde in möglichster Pracht und Sauberkeit! Mein Stanislaus wird Ihnen hierin zum Muster dienen.
Die Schüler (glotzen Herrn von Wichtig verdutzt an).
Wampl (zu den Schülern). Haben Sie nicht gehört, was der Herr Intendant befohlen hat? Entfernen Sie sich eiligst, aber still und ordentlich!
Die Schüler. Juheh! Die Schul’ is aus! Der Herr von Wichtig soll leben! (Alle eilen jubelnd zur Mitteltüre fort.)
Wichtig. Ist sehr freundlich, sehr lebhaft, die junge Schülerschaft!
Willibald (fast an der Türe). Ich werde horchen, damit ich der Frau Mutter alles erzählen kann. (Kehrt zurück und verbirgt sich hinter der großen Rechentafel.)
Wampl. Wichtig. Willibald (versteckt).
Wampl. Wollten mich nun der Herr von Wichtig gefälligst mit einer Aufklärung beglücken?
Wichtig. Ich habe Sie diesen Morgen schon etwas ahnen lassen. Mein an unsern gnädigen Herrn gerichteter Brief hat eine sehr freundliche, überraschend schnelle Wirkung getan.
Wampl (entzückt, für sich). Überraschender Bescheid – ich geh’ in die Luft –!
Wichtig (einen Brief hervorziehend). Eben erhalte ich die Antwort. Herr von Wolkenfeld, unser Gebieter, der beim benachbarten Gutsbesitzer frühstückte, wird mit dem Herrn Landrat hieherkommen, ein Examen veranstalten, in eigner Person prüfen und die Preise verteilen.
Wampl (wie vom Donner gerührt). Ein – Ex – Examen (Für sich.) Ich fall’ um!
Wichtig. In einer Stunde längstens ist er hier! Es versteht sich von selbst, daß alle Schüler prompt und exakt antworten müssen, daß aber mein Stanislaus alle übrigen übertreffen wird.
Wampl. Ja, aber – wenn nur – ich zweifle fast –
Wichtig. Es sollte mir leid tun um Ihretwillen, Ihres Amtes war es, die Jugend gut zu unterrichten, jede verfehlte oder schuldiggebliebene Antwort haben Sie zu verantworten.
Wampl (ganz vernichtet und kleinlaut). Aber ich kann ja doch nicht –
Wichtig. Namentlich, wenn mein Stanislaus nicht mit Auszeichnung bestünde, so fiele das bei seinem Genie doppelt auf Sie zurück!
Wampl (wie oben). O, der Stanislaus –! (Beiseite.) Mich trifft der Schlag!
Wichtig. Sind sehr freundlich! Auf Wiedersehn! (Geht zur Mitte ab.)
Wampl (ihn an die Türe begleitend). Untertänigst –
Wampl, Willibald (versteckt). Dann Nettchen.
Wampl (allein). Glaub’ nicht, daß was draus wird aus dem Wiedersehn! Ich geh’ durch – Examen –! (Desperat.) Ich muß durchgehn!
Nettchen (aus der Seitentüre rechts kommend). Ach, Vater –!
Wampl. Tochter! Examen – hast du gehört
Nettchen. Alles! Ich stand an der Türe.
Wampl (die Hände ringend). Gutsherr, Landrat, Examen! Es is ein Wahnsinn! Aufs Examinieren sind meine Schüler nicht eingericht’t! Wer hilft mir? – Wer rat’t mir? – Franz! Wo, Teufel, is denn der Franz!? Aufseher, wo stecken Sie!?
Nettchen. Aber, Vater, Sie haben ihn ja fortgejagt, den armen Franz!
Wampl. Er soll wiederkommen, an der Stell’! Ich brauch’ Rat und Tat!
Nettchen. Haben Sie nicht gehört, mit welchem Schwur er fortstürzte? Nur als Ihr Schwiegersohn –
Wampl (aufbrausend). Ich werd’ ihm die Schwüre austreiben! – Aber es steht zu viel auf dem Spiel! (In nachgiebigem Tone.) Was nicht is, kann werden, aber nur helfen soll er mir jetzt! Die alte Babett’ soll in seine Wohnung laufen!
Nettchen. Das ist nicht nötig, er steht unter meinem Fenster, ein Wink mit dem Schnupftuch, und er ist hier! (Eilt in die Seitentüre rechts ab.)
Wampl (verdutzt ihr nachsehend). Brav, das scheint schon recht gut in Gang zu sein! Wer weiß, wie oft sie schon Schnupftüchelwinkerin war! (Kopfschüttelnd.) Hm – hm –
Nettchen (freudig zurückkommend). Er kommt schon!
Wampl (etwas strenge). Geh nur wieder hinein!
Nettchen. Aber, Vater –!
Wampl. Nur hinein! Dir halt’ ich dann noch eine Vorlesung über die Zentrifugalkraft der Schnupftücheln.
(Nettchen entfernt sich zur Seitentüre rechts.)
Franz. Wampl. Willibald (versteckt).
Franz (zur Mitte eintretend). Herr Magister, ich sollte eigentlich nicht mehr –
Wampl. Warum nicht? Sie müssen, wenn ich befehle!
Franz. Sie haben mich fortgejagt!
Wampl. Der Vernünftige sieht im Fortjagen nur eine Einladung, zu einer günstigeren Zeit wiederzukommen – und jetzt ist sie da, die günstige Zeit!
Franz. Schwiegersohn – das ist die einzige Gunst, die ich von der Zeit verlange.
Wampl. Kann sich machen mit der Zeit, aber die Bedingung, die ich setz’, hat gar keine Zeit. Es brennt auf die Nägeln! Der Gutsherr, der Landrat –
Franz. Examen! Ich weiß alles!
Wampl. Aber die examiniert werden, wissen gar nix. Ich bin das Opfer. Ich werde brotlos, weil meine Schüler hirnlos sind!
Franz (über etwas brütend). Hin, ich bin nach Ihrem Ausspruch auch nur ein simpler Schüler, weiter nichts!
Wampl. Sie sind Professor, Doktor, Dekan – was Sie wollen, wenn Sie nur –
Franz. Sagen Sie das nicht, denn gerade nur, weil ich Schüler bin, kann ich Ihnen helfen.
Wampl. Wieso?
Franz. Weil Hilfe hier nur durch einen Schülerstreich möglich ist!
Wampl. Also doch möglich –? Red’, lieber Schüler, sag’ diesen Meisterstreich von einem Schülerstreich!
Franz. Sie sollen gar nicht dadurch kompromittiert werden. Die Prüfungsfragen sind aufgesetzt –
Wampl. Hier in diesem Heft! (Zieht aus der Tasche ein Heft hervor.)
Franz. Es wird Ihnen ein leichtes sein, den gnädigen Herrn dahinzubringen, daß er die Fragen der Reihe nach stellt.
Wampl. Aber die Antworten –?
Franz. Dazu rufen Sie die Schüler der Reihe nach auf, wie sie sitzen werden. Ich werde jedem seine Antwort auf ein Zettelchen aufgeschrieben geben, und der sich’s nicht merken kann, der legt das Zettelchen in seine Kappe und liest sie heraus.
Wampl. O Retter, so geht’s! Wenn’s die Buben nicht im Kopf haben, so haben sie’s doch wenigstens in die Kappeln. Ich ziehe jetzt mein schwarzes Kleid an –
Franz. Und ich ordne das Verabredete!
Wampl. Also der Schwiegersohntitel ist der Preis, die Aufgabe sind wissenschaftliche Kappelbub’n! (Eilt in die Seitentüre rechts ab.)
Franz (allein). Ich rette den Magister von unverdientem Unglück und erringe Nettchen zur Frau – für solche Zwecke kann ein kleiner Betrug kein großes Verbrechen sein! (Geht in die Seitentüre links ab.)
Willibald (allein).
Willibald (hinter der Tafel hervorkommend). So erleichtert man denen andern die Prüfung, und mir hat man für ein glänzend bestandenes Examen dritte Klass’ gegeben!? Wart’ts, ich will euch zeigen, wie sich ein Dritter-Klassiker rächen kann!
Lied |
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In der Sprachlehr’ blamier’n s’ mit d’ vielen Hauptwörter sich, |
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2. |
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D’ Geographen beschreib’n uns jeds Meer, jedes Land, |
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3. |
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Mit der Rechenkunst tut man so manches h’rauskrieg’n, |
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4. |
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Auch in der Botanik muß man drüber klag’n, |
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5. |
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Unter Schreibkunst tun s’ Schönschreibkunst nur verstehn, |
Franz. Dann die Schüler, darunter Peter Petersil, Anton Waldfuchs, Blasius Pichler, Sebastian Grob, Christoph Ries, Stanislaus.
Franz (aus der Seitentüre links kommend, hält mehrere beschriebene Zettel in der Hand). Das wäre getan. Nach dem Lärmen draußen zu urteilen, sind sie schon versammelt. Ich will sie schnell instruieren. (Die Mitteltüre öffnend.) Kommt nur herein! So – so – und setzt euch allsogleich jeder auf seinen Platz, wie er im Katalog notiert ist! (Die Schüler musternd, welche die Plätze einnehmen.) Nun, euer Äußeres wäre ganz nett zur Prüfung ausgestattet, aber wie sieht es mit dem Innern aus?
Mehrere Schüler. Ich weiß nicht – es wird schwer gehn!
Stanislaus. Die Prüfung ist viel zu fruh, da kann man nix können.
Peter Petersil. Ich werd’ ein Gartner, mir liegt eigentlich nix an die dalketen Gegenständ.
Sebastian Grob. Ich kann ’s ganze Jahr nix, wird’s mich auch heut’ nicht umbringen.
Christoph Ries. Mich lassen s’ eh nicht aufkommen in der Schul’.
Franz. Schön wär’s aber doch, wenn ihr auf alles richtig antworten und euch Ehre und euren Eltern Freude machen würdet!
Die Schüler. Ja freilich, aber –
Peter Petersil. Das sind fromme Wünsche –
Franz. Die diesmal durch mich in Erfüllung gehen sollen! Ich will in Berücksichtigung der etwas unerwartet gekommenen Prüfung diesmal nicht als euer Aufseher, sondern als euer Mitschüler handeln. Auf diesen Zetteln habe ich eure Antworten aufgeschrieben. (Verteilt der Reihe nach die Zettel.) Da lege nun jeder seinen Zettel, in die Kappe verborgen, vor sich hin, werfe einen Blick hinein – antworte, wenn er aufgerufen wird.
Die Schüler. Das is g’scheit!
Blasius Pichler. Einsagen wär’ besser!
Stanislaus. Als wie auf ’n Theater!
Anton Waldfuchs. Das sollt’ eingeführt werden bei die Prüfungen!
Peter Petersil. Na ja – wir Schulbub’n soll’n alles auswendig wissen, auf ’n Theater sein s’ Künstler und können nix, als was ihnen eing’sagt wird!
Franz (hat mittlerweile sämtliche Zettel verteilt). So – also nur gehörig aufgepaßt!
Wampl. Die Vorigen. Dann Willibald.
Wampl (in festlichem Anzug aus der Seitentüre rechts kommend). Schon alle beisammen?
Franz. Bis auf Willibald Schnabel.
Wampl (zu den Schülern mit heimlichem, auf Franz gerichtetem Nachdruck). Auch alle mit den gehörigen Kenntnissen ausgerüstet?
Die Schüler. Ja!
Franz (Wampl das früher von ihm bekommene Heft zurückgebend). Hier ist das Verzeichnis der Fragen!
Wampl. Werden wir gleich eine Probe machen. Stanislaus Wichtig! (Aus dem Hefte.) Welche Planeten unseres Sonnensystems sind größer als die Erde?
Stanislaus (nachdem er einen Blick in die vor sich habende Kappe geworfen). Uranus, Saturnus und Jupiter.
Wampl. Peter Petersil! (Aus dem Hefte.) Welche sind die kleinsten Tiere aus der Gattung der Vögel?
Peter Petersil (nachdem er einen Blick in seine Kappe geworfen). In unseren Gegenden der Zaunkönig, in den Tropenländern der Kolibri.
Willibald (tritt zur Mitte ein und will unbemerkt in seine Bank).
Wampl. Nun, es geht – es wird sich machen. (Wirft Franz einen zufriedenen Blick des Einverständnisses zu.) Aha –! (Indem er Willibald bemerkt.) Der kommt wieder der letzte!. Sie werden zur Straf’ gar nicht aufgerufen bei der Prüfung. (Zu Franz.) Kommen Sie mit mir! Trompeter und Pauker sind ohne Zweifel schon unten. Gelungene Antworten der vorzüglichsten Schüler – merken Sie was, Stanislaus? – werden ebenfalls mit einem Tusch honoriert. (Zu Franz.) Jetzt zum Empfang des gnädigen Gutsherrn! (Geht mit Franz zur Mitteltüre ab.)
Die Vorigen ohne Wampl und Franz.
Willibald (zu den Schülern). Ihr habts die Antworten aufg’schrieben in die Kappel, soviel ich seh’?
Die Schüler. Freilich.
Peter Petersil. Der Aufseher selber hat s’ uns geben.
Willibald. Wird wieder a schöne Einteilung sein! Keinem das, wo er am festesten is!
Mehrere Schüler. Na, schau s’ an! (Zeigen ihm die Zettel.),
Willibald (die Zettel flüchtig übersehend). Na ja, es is schon so! (Zu einem Schüler aus der zweiten Bank.) Deine Stärke is die Sprachlehr’, dir gibt er die Geschichte! (Zu Stanislaus.) Deine Force is die Statistik, dir gibt er die Astronomie! (Zu einem Schüler aus der zweiten Bank.) Du bist für die Mythologie, dir gibt er aus der Arithmetik. (Zu Peter Petersil.) Dein Glanzpunkt is Erdbeschreibung, und dir gibt er die Naturgeschicht’!
Stanislaus. Das tut er uns mit Fleiß!
Sebastian Grob. Ja, ja, er is ein solcher!
Christoph Ries. Drum sag’ ich: Nur ein’ Aufseher trauen –!
Willibald. Wißts was? Tauschts die Zetteln aus untereinand’, ihr werd’ts euch doch nix vorschreiben lassen!
Die Schüler. Das is g’scheit! Das tun wir! (Durcheinander schreiend, indem sie die Zettel gegenseitig verwechseln.) Das gib mir! – Nein, das is für mich! – Der hat gar zwei! – Das g’hört mein!
Peter Petersil (zu Willibald). Was wirst denn du tun? Du wirst ja gar nicht aufg’ruft bei der Prüfung?
Willibald. Ich hab’ mir Golatschen mitg’nommen, da vertreib’ ich mir schon die Zeit.
(Man hört von außen Intrade von Trompeten und Pauken.)
Die Schüler. Oje! Sie kommen schon!!
Baron Wolkenfeld. Herr von Wichtig. Wampl. Franz. Nettchen. Frau Schnabel. Väter und Mütter der Schüler. Ein Kammerdiener. Ein Jäger. Zwei Bediente. Zwei Trompeter. Ein Pauker. Die Vorigen.
(Während dem Ritornell des folgenden Chores treten die Väter und Mütter der Schüler zur Mitte ein und stellen sich im Hintergrunde zu beiden Seiten auf. Unter ihnen befindet sich Frau Schnabel. Nettchen tritt aus der Seitentüre und begrüßt die Eintretenden. Trompeter und Pauker stellen sich gegen Ende des Chores an der Türe auf.)
Chor der Väter und Mütter.
Das ist für d’ Eltern eine Freud’, |
(Während dem Nachspiel des Chores tritt Herr von Wolkenfeld, von Herrn von Wichtig und Wampl begleitet, ein; ihnen folgen Franz, ein Kammerdiener, ein Jäger, zwei Bediente. Tusch von Trompeten und Pauken.)
Alle Anwesenden. Vivat!!
(Wichtig und Wampl führen den Gutsherrn auf das Katheder.)
Wampl (zu Wolkenfeld). Die hohe Herablassung – die tiefste Ehre – die untertänigste Huld und Gnade –
Wolkenfeld (begrüßend). Auch ich bin sehr erfreut –
Wampl (ihm die Schüler präsentierend). Hier die sämtlichen Schüler und hier (auf die Eltern zeigend) die betreffenden Mütter und respektive Väter!
Wichtig. Der Tag, wo uns zum erstenmal Hochdero beglückende Gegenwart beauszeichnete, wird nach Jahrhunderten in den Annalen –
Wolkenfeld (zu Wichtig). Diese Bitte, welche Sie auch brieflich an mich gerichtet, setzt mich – (zu den Schülern mit einem Wink, daß sie sich setzen sollen) ich bitte –
(Die Schüler setzen sich; Wolkenfeld setzt sich auf den Kathederstuhl; Wampl wird von Franz, Wichtig vom Kammerdiener ein Stuhl auf die Tribüne gerichtet, so daß Wampl dem Baron zur Rechten, Wichtig zur Linken sitzt.)
Wolkenfeld (fortfahrend). Diese Bitte, wie gesagt, setzt mich – ich muß es gestehen – so sehr ich mich auch geschmeichelt fühle – in einige Verlegenheit. (Zu Wampl.) Herr von Wichtig wünscht, daß ich die Schüler selbst prüfen soll, was doch eigentlich nicht meine Sache ist, indem –
Wampl (ihm das Heft mit den Fragen vorlegend). Hier sind verschiedene Fragen untertänigst notiert.
Die Schüler (richten sich ihre Zettel in die Kappen, welche sie vor sich liegen haben, zurecht).
Wolkenfeld (in bezug auf das Heft, zu Wampl). Was ist das? (Setzt die Brille auf.)
Wampl. Ich würde allerunmaßgeblichst die Schüler mit Namen aufrufen.
Wolkenfeld (welcher das Heft flüchtig durchblätterte). Aha, ganz recht – nun denn –! (Für sich.) Es setzt mich in Verlegenheit – also – (wischt mit dem Tuch an seiner Brille).
Wampl (aufrufend). Stanislaus Wichtig!
Stanislaus (steht auf).
Wichtig (Stanislaus dem Gutsherrn präsentierend). Mein tief ergebenster Sohn!
Wampl (zu Wolkenfeld). Gleich die erste Frage wäre nicht schlecht! (Zeigt im Hefte darauf.)
Wolkenfeld (aus dem Hefte examinierend). Welche Planeten unseres Sonnensystems sind größer als die Erde? (Wischt an seiner Brille.)
Stanislaus (sieht in die Kappe und antwortet dann). Kärnten, Krain, Görz, Salzburg und die Windische Mark.
Willibald (kichert schadenfroh).
Wichtig. Verdammt – mir scheint, der Baron hat es zum Glück überhört. (Winkt den Trompetern. Tusch von Trompeten und Pauken.)
Wampl (über Stanislaus’ Antwort noch ganz verblüfft). Wa – was is denn das –!? (Zu Franz, der ihm zunächst an den Stufen des Katheders steht.) Der hat was Unrechts im Kappel.
Franz (bestürzt). Ich begreife nicht –
Wolkenfeld (zu Wampl). Wollen Sie einen zweiten rufen!
Wampl. Sogleich! (Im Hefte zeigend.) Allenfalls die zweite Frage, wenn es gefällig ist – (aufrufend). Peter Petersil!
Peter Petersil (steht auf).
Wolkenfeld (aus dem Hefte examinierend). Welche sind die kleinsten Tiere aus der Gattung der Vögel?
Peter Petersil (nachdem er in seine Kappe gesehen, rasch antwortend). Das Eismeer, das Atlantische und Mittelländische Meer, die Ostsee und der Stille Ozean.
Willibald (lacht schadenfroh).
Wampl (starr vor Entsetzen, für sich). Ja sind denn die Buben verhext?
Franz (bestürzt, für sich). Was ist da vorgegangen
Wichtig. Ich staune –
Wolkenfeld. Recht brav – recht nun ja – es setzt mich wirklich in Verlegenheit, denn (wischt an seiner Brille.)
Frau Schnabel (hat sich hinter den Bänken ihrem Sohne genähert und sagt ihm leise). Er is taub, stocktaub!
Willibald. Wer?
Frau Schnabel. Der gnädige Herr! Der Kammerdiener hat mir’s grad gesagt.
Willibald. Wenn ich das g’wiß wüßt’, machet ich ein G’waltexamen.
Frau Schnabel. Wir werden uns gleich überzeugen. Gib acht auf die Trompeter, ich schenk’ ihnen was – (geht in den Hintergrund und spricht mit den Trompetern, welche sich später rückwärts auf die Tribüne verfügen, so daß sie hinter Wampl, Wolkenfeld und Wichtig zu stehen kommen).
Wolkenfeld (zu Wampl). Fahren Sie fort!
Wampl (aufrufend). Anton Waldfuchs!
Anton Waldfuchs (steht auf).
Wampl (für sich). Ich schwitze Angstschweiß! (Zeigt dem Baron im Hefte die dritte Frage.) Unmaßgeblich –
Wolkenfeld (aus dem Hefte lesend). Welches sind die interessantesten Erfindungen der neuesten Zeit?
Anton Waldfuchs (nachdem er in seine Kappe geblickt). Die Klapperschlange, der Orang-Utan, das Krokodil, das Rhinozeros.
Wampl (für sich). Mir wird übel!
Wichtig (zu Wolkenfeld). Wollten Euer Gnaden nicht nochmal meinen Sohn – (ohne eine Äußerung abzuwarten, zu Wampl) rufen Sie ihn auf!
Wampl (kleinlaut). Ich fürchte nur, daß er auch –
Wichtig. Nur aufgerufen!
Wampl (aufrufend). Stanislaus Wichtig!
Stanislaus (für sich). Das ewige Aufrufen –! (Zu einem Schüler in der zweiten Bank.) Ich hab’ kein Zettel mehr – gib mir deins! (Nimmt den Zettel.)
Wichtig (halbleise und ärgerlich). Aber, Stanislaus
Stanislaus (steht auf, nachdem er sich den Zettel in die Kappe gelegt).
Wolkenfeld (an seiner Brille wischend). Recht fatal, daß mein Freund, der Landrat Sternau, unpäßlich geworden – (liest die nächste Frage). Was ist im menschlichen Organismus die Hauptfunktion des Herzens?
Stanislaus. Sechs mal sechs is sechsunddreißig, acht mal neun is zweiundsiebzig, zehn mal hundert is tausend.
Wichtig (wütend, beiseite). Ich zerberste –
Wampl (für sich). Das is mein Gnadenstoß! (Winkt dem im Hintergrunde befindlichen Pauker, bei welchem er auch die Trompeter vermutet.) Nur Tusch! Wenigstens Tusch!
(Der Pauker beginnt im Hintergrunde zu wirbeln, die Trompeter blasen Tusch, dicht hinter den auf dem Katheder sitzenden Herrn .Wampl und Wichtig prallen einer nach rechts, der andere nach links. Herr von Wolkenfeld sitzt ruhig, sieht in das Heft und putzt an seiner Brille.)
Wampl (aufschreiend). Ah – was is das!?
Wichtig (zugleich, grimmig zu den Trompetern) Plagt euch der Satan?
(Die Trompeter ziehen sich nach dem Hintergrund zurück.)
Wampl (entschuldigend, zu Wolkenfeld). Euer gutsherrlichen Gnaden –
Wichtig (ebenso). Ich werde diese Schlingels –
Wolkenfeld (welcher, immer seine Brille wischend, ruhig dagesessen). Nun die letzte Frage –
Wampl (beiseite). Er schenkt mir kein Gehör –
Willibald (der dies hört). Ich glaub’s, er wär’ froh, wenn er selber eins hätt’!
Wolkenfeld (zu Wampl). Ich bitte um einen anderen Jüngling!
Wampl (aufrufend). Christoph Ries! (Für sich.) Wenn nur der meine Ehre rettet! (Zu Wolkenfeld, indem er auf eine Frage im Hefte zeigt.) Diese Frage wäre besonders zeitgemäß.
Wolkenfeld (die Frage lesend). Wie viele Musen nennt uns die Mythologie der Alten?
Christoph Ries (nachdem er in die Kappe gesehen). Sechzehn.
Wampl (korrigierend). Neun, wollen Sie sagen!
Wolkenfeld. Und wie heißen sie?
Christoph Ries (wie oben). Chrudim, Bunzlau, Kaurzim, Caslau, Budweis –
Wampl (desperat). Unglücklicher, halt ein! (Ganz vernichtet zu Franz.) Wie ist denn der zu den Kreisstädten Böhmens gekommen?
Wichtig (auf seinen Sohn herabdrohend). Wart’, Stanislaus –!
Willibald (für sich). Bei der Prüfung tut’s es, wenn ich aus ’n Namenbüchel was aufsag’. (Stellt sich vors Katheder.)
Wampl (zu Willibald). Wer hat denn Sie gerufen? Werden Sie sich in Ihre Bank begeben?
Willibald (schnattert, ohne sich irre machen zu lassen, die folgende Stelle aus dem Namenbüchlein auswendig her). »Wenn ich aus der Schule nach Hause komme, grüße ich sogleich meine Eltern und meine Geschwister. Ich lege meine Schulsachen an ihren Ort, ich spiele einige Zeit, dann nehme ich mein Büchlein wieder zur Hand, ich wiederhole, was morgens in der Schule gelesen wird. Die Mutter erzählt etwas, ich höre aufmerksam zu –«
Wampl (hat sich vergebens bemüht, Willibald zum Schweigen zu bringen, indem er ihm ein paarmal in die Rede gefallen mit den Worten). Halten Sie ’s Maul! – Marschieren Sie auf Ihren Platz!
Wolkenfeld (zu Wampl). Antwortet recht geläufig auf die Fragen, die Sie ihm gestellt, dieser schlanke Knabe! (Winkt Willibald freundlich zu, daß es genug ist.)
Frau Schnabel (winkt den Trompetern).
(Tusch mit Trompeten und Pauken.)
Wichtig (in höchstem Zorne). Ich zerplatze!
Willibald (verbeugt sich und geht stolz auf seinen Platz). Ich habe den Sieg über meine Mitschüler davongetragen.
Wolkenfeld (aufstehend und zu den Schülern, welche sich ebenfalls erheben). Und nun, meine Lieben, freut es mich, in euch einen Teil jener Hoffnungen kennengelernt zu haben, welche das deutsche Vaterland dereinst in seinen Nachwuchs möglicherweise setzen zu können sich allenfalls angeregt und mutmaßlich berechtigt zu sein sich angewiesen fühlen sollte dürfen. – Nicht minder aber vernehmen Sie meinen Beschluß oder vielmehr den Beschluß meines Freundes, des Landrats! Derselbe wünscht, daß die Schule hier im Schlosse von nun an aufgehoben und mit der in hiesiger Landstadt befindlichen Schule vereinigt werde.
Wampl (niedergeschmettert, für sich). Entsetzlich! Entsetzlich! – Quiesziert, – kassiert –!
Wolkenfeld (sich gegen Wampl wendend). Sie, Herr Magister, erhalten von mir für Ihre vieljährigen Dienste als Pension Ihren vollen Gehalt nebst einer jährlichen Zulage von hundert Gulden.
Wampl (außer sich vor Freude). Is es möglich –!? Ruh’stand und Zulag’! – Tochter, halt mich – oder nein, laß mich fallen, und zwar zu den Füßen des Herrn Baron!
Wolkenfeld. Dem Qua-Schulgehilfen Franz Rottmann sendet der Herr Landrat durch mich das Anstellungsdekret als zweiter Lehrer bei obbenannter Stadtschule.
Wampl (jubelnd). Das auch noch
Nettchen. Welch ein Glück –!
Franz (mit Entzücken). Nettchen –!
Wichtig (leise zu Wampl). Bringen Sie doch die Auszeichnung für meinen Stanislaus in Anregung!
Wampl (leise zu Wichtig). Ich hab’ da was ganz Besonderes! (Zieht aus einem Schiebfach des Katheders eine große Schulmedaille mit bunter Schleife hervor.) Euer Hochfreiherrlichen Gnaden wollen hiemit den merkwürdigen Schüler Stanislaus –
Wolkenfeld. Aha – ich verstehe – der jüngste Schüler wird gewöhnlich damit geschmückt – (winkt Christoph Ries und geht ihm an die Stufe der Tribüne herab entgegen)
Wichtig. Ich werde zu Stein –
Wolkenfeld (befestigt an Christophs Knopfloch die Medaille).
Wampl (beiseite), O Weltlauf! Fürs Birnschnipfen kriegt der eine Medaille!
Wolkenfeld. Die sämtlichen übrigen Schüler erhalten jeder, nicht eigentlich als Prämium, sondern mehr zur Erinnerung ein Exemplar dieses nützlichen Buches! (Verteilt die Bücher, welche der Kammerdiener ihm zureicht, an die Schüler.)
Wichtig (zu Wampl). Das ist ja aber alles keine Auszeichnung für meinen Stanislaus!?
Willibald (zu Christoph Ries). Gib mir deinen Denkpfennig, ich geb’ dir a Golatschen dafür!
Christoph Ries (die Medaille herabnehmend und sie Willibald einhändigend). Da hast ’n, ich halt’ nix auf so Sachen! (Nimmt die angebotene Golatsche.)
Willibald (befestigt sich mit stolzem Wohlgefallen die Medaille an der Brust).
Wampl (sich dem Gutsherrn nähernd und ihm Franz und Nettchen, welche er an der Hand führt, vorstellend). Darf ich es wagen, ein Brautpaar vorzustellen?
Wolkenfeld. Ah, da soll eine Hochzeit –? (Zu Franz.) Nur geheiratet, dem Verdienste seine Kronen! Sie tragen ans dieser Schule das schönste Prämium davon.
(Auf Wolkenfelds Wink Tusch von Trompeten und Pauken. Herr von Wolkenfeld fährt fort, Bücher an die Schüler zu verteilen.)
Alle. Vivat!
(Unter wiederholtem Tusch und allgemeiner freudiger Bewegung fällt der Vorhang.)