Im Augenblick, in welchem das Theater zum Gegenstand historischer Betrachtung wurde, in welchem ein wachsender Sinn für die geschichtliche Eigenart vergangener Epochen mit dem Fehlen eines eigenen, bewußt gelebten Zeitstils zusammentraf, stellte sich die Frage, wie man Klassiker spielen soll, mit besonderer Eindringlichkeit. Innerhalb dieses umfassenden Fragenkomplexes gibt es zahlreiche Einzelprobleme, insbesondere was die szenische Vergegenwärtigung bestimmter Dramatiker der Vergangenheit betrifft. So gilt eine der immer wiederkehrenden Fragen, die in bezug auf das Theater der Gegenwart erörtert werden, dem Thema der Nestroy-Inszenierung in unserer Zeit. Soll man Nestroy im Stil der damaligen Epoche aufführen, soll und darf man ihn modernisieren, ihn bearbeiten? Mit diesen Fragen, in deren Mitte sich das zentrale Problem der Werktreue stellt, haben wir uns an verschiedene namhafte Regisseure des Gegenwartstheaters gewandt, deren Meinungen hier wiedergegeben werden. 
Helmut Schwarz: Zunächst fällt, auf, daß sich bei einer gelungenen Nestroy-Inszenierung dem Zuschauer die Frage nach der Richtigkeit stilistischer Interpretation vorausgesetzt, es gäbe eine solche auf dem Theater überhaupt kaum je gestellt haben dürfte: was ohne Fragezeichen eingeht, was sich nicht mit Absicht interessant gibt, sondern klar und selbstverständlich abläuft, erweist sich bereits als kongruente Deutung. Dennoch: diese Antwort erscheint zu allgemein. Trifft sie denn nicht in gleichem Maße auf Sophokles, auf Shakespeare oder Molière zu, hebt sich nicht damit jede Frage nach dem Stil von selber auf? Soweit es den geheimen Vollzug jeder wahrhaft geglückten Inszenierung betrifft, immanente geistige und weltbildhafte Bezüglichkeiten einer Dichtung transparent gemacht zu haben, allerdings. Betrachten wir also den Fall im besonderen. Nestroy war Schauspieler. Er schrieb zu jeder Gelegenheit des Theaters, also sehr viel. Meist Bearbeitungen heute längst vergessener Vorlagen, die erst durch seinen Zugriff bleibender Theaterbesitz geworden sind. Andere hat auch er nicht zu retten vermocht dennoch werden sie zu Zeiten gespielt. Meisterwerke und Nebenwerke.
Weiters: Nestroy verpflanzte die belanglosen Vaudevilles nach Wien. Er bediente sich nicht nur des lokalen Milieus und der hierin verwurzelten Charaktere, sondern auch des lokalen Dialekts. Er gilt deshalb nicht nur als unübersetzbar in fremde Sprachen, weil sein Witz, sein Wortspiel von Doppel- und Dutzenddeutigkeiten lebt, die in fremdem Idiom kaum nachvollziehbar sind, sondern er wird bereits innerhalb des deutschsprachigen Raumes vielfach nicht vollauf verstanden. Am ehesten, paradoxerweise, immer noch dann, wenn er von einem österreichischen Ensemble gespielt wird: die Schwierigkeit mit Wortinventar und Sprachfärbung wird hier offenbar durch das Plus einer kräftig mimisch-gestischen Interpretation ausgeglichen. Dolmetscherfunktion des Komödiantischen! Fragen wir also nicht nach dem Nestroy-Stil, der, wenn es ihn geben sollte, ebenso wenig artifiziell herstellbar wäre wie der Goldoni-Stil der Italiener für Schauspieler unserer Breitengrade überlegen wir vielmehr, wann immer uns Nestroy-Inszenierungen besonders gelungen erschienen sind. Beispiele hiefür haben Regisseure wie Lindtberg, Manker, Hübner, Ebbs und andere zahlreich geliefert.
Unzählige Bearbeiter haben sich immer wieder bemüßigt gefühlt, Nestroy zu modernisieren. Bearbeiter des Wortes, der Szene, der Musik. Die meisten sind in ihrem Eifer den Gefahren des Zuviels erlegen: noch ein Couplet mehr, eine Opernparodie, ein Quodlibet effektvolle szenische Verwandlungen, Gags und Einfälle (die laut Hilpert bekanntlich die Läuse der Gedanken sind). Das Ergebnis war meistens mager. Nichts als billiges Kunstgewerbe Operette. Denn vielmehr gilt es, freizulegen als hinzuzufügen. Und selbst dann bleiben immer noch jene Stücke, bei denen sich jegliche Bearbeitung verbietet: Der Talisman, Einen Jux will er sich machen, Der Zerrissene, Das Mädl aus der Vorstadt, Frühere Verhältnisse die Meisterwerke (zu denen ich, trotz seiner großen Popularität, Lum-pazivagabundus nicht rechnen möchte). Sie sind überall verständlich, sie sollten im Repertoire keines deutschsprachigen Theaters für immer fehlen. Wogegen es andere gibt, für die ich auf Exportschutz plädieren mochte: Um die Nebenwerke aufzuführen, bedarf es eines an Nestroy geschulten Ensembles, eines Regisseurs mit Einfühlungsgabe und Nestroy-Sinn sowie eines vorbereiteten Publikums dann gelingt mitunter der große Wurf. Ambessers Inszenierung Der Färber und sein Zwillingsbruder mit Meinrad in der köstlichen Doppelrolle war in meinen Augen ein derartiger Glücksfall. Hingegen kann die schwache Wiedergabe eines schwächeren Werkes, meist unselig bearbeitet und verblödelt, der Nestroy-Pflege ungemein schaden und Mißverständnisse unter den Nicht-Kennern fördern.
Was aber die Frage des Wie betrifft: Nestroys Biedermeier unterscheidet sich von dem Raimunds nicht nur dadurch, daß es gar wenig Romantisches an sich hat es ist im Grunde genommen ausgesprochen ungemütlich und äußerst aggressiv. Schon die Themen sind es: ein armer Teufel (rothaarig, also kein Andorraner), der um seiner Karriere willen bedenkenlos alles aufs Spiel setzt, ein kleiner Kommis, der für einen Tag aus dem grauen Alltag seiner eintönigen Vergangenheit und einer bevorstehenden ebensolchen Zukunft ausbricht, ein Reicher, der die Auswahl aller ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten unerträglich abgeschmackt findet, ein Mädchen, das durch Verleumdung eines Defraudanten seine Herkunft verbergen muß oder, in Umkehrung des Tatbestands, Menschen, die aus gespielter Vornehmheit ihre niedere Abstammung ängstlich unterschlagen! Dazu eine messerscharfe Diktion, die Lust, es der Welt so richtig hineinzusagen.
Sie liefert den Schlüssel für jegliche Inszenierung. Zwar deckt sich in Nestroys besten Werken Situation und rhetorische Aussage, mitunter aber kommt es vor, daß ihm das Sagenswerte wichtiger erscheint als der handlungsmäßige Anlaß. Das liefert einen wertvollen Hinweis. Die Spielsituation darf nie auf Kosten der Wortverständlichkeit (im engeren und weitesten Sinne) überwiegen. Freilich es gibt in jedem seiner Stücke mehr als genug Situationskomik, die auszukosten sich kein Schauspieler nehmen lassen wird und die Nestroy selbst, der Vollblutkomödiant, gewiß reichlich genossen hat. Daneben aber Monologe und Lieder, manche bekenntnishafte Wortorgien, wo jedes Zuviel schadet, wo der Text, schlank und mit intellektueller Wachheit vorgebracht, für sich allein so stark wirkt, daß jede Auflösung in Spiel und Gestik bereits eine Schmälerung bedeutet. Als die ideale Nestroy-Aufführung betrachte ich daher jene, die eine kluge Balance zu halten versteht, die das Publikum zu Lachstürmen entfesselt und doch stets so sehr in der Hand behält, daß sie unvermutet im nächsten. Moment Betroffenheit auszulösen vermag.
Als die Hauptqualitäten einer guten Nestroy-Aufführung erscheinen mir realistische Selbstverständlichkeit und geschliffene Direktheit. Als die Hauptgefahren und Hauptsünden: biedermeierhafte Lieblichkeit in bonbonhafter Verpackung sowie jede Art von ausgeklügelter Raffinesse. Auf die Musik bezogen hieße das: man soll Nestroy eher auf zwei Klavieren spielen als mit großem Orchester.
Ein jüngerer Regisseur formulierte auf einer Probe gelegentlich, für ihn sei Nestroy vor allem proletarisch. Das hat etwas für sich, wenn wir diesen Begriff um ein Jahrhundert zurückverlegen und ihn vom Odium des Vulgär-Derben befreien. Denn bei aller Robustheit, bei allem Realismus der Figurenzeichnung läßt sich der Charme eines vergangenen Wienertums doch nicht völlig hinwegleugnen, was uns seine Handschrift selbst dann noch liebenswert erscheinen läßt, wenn er seinen Zeitgenossen und uns hier ist der Unterschied gar nicht so sehr groß nur wenig Schmeichelhaftes offeriert. 
Leopold Lindtberg: Sich mit Johann Nepomuk Nestroy auseinanderzusetzen bedeutet, sich fürs erste mit den Mißverständnissen auseinandersetzen, die um diese erstaunlichste Gestalt des Wiener Vormärz entstanden sind und immer von neuem entstellen. Wie man Schiller und Goethe als die Repräsentanten der deutschen Klassik gemeinsam nennt, paart man Nestroy mit Raimund, wenn von der klassischen Wiener Volkskomödie die Rede ist. Aber, um mit dem Erstgenannten zu sprechen, das trifft nicht immer so paarweis als wie die Strümpfe oder die Ohrfeign beisamm. Denn genau zwischen den beiden Repräsentanten einer vermeintlich gleichen oder geistesverwandten Kategorie verläuft der Trennungsstrich, der zwei Epochen des Theaters scheidet.
Nestroys trauriges Bonmot von der Resignation als der edelsten unter allen Nationen mochte vorzüglich auf die Gemütslage seines Vorgängers Raimund zutreffen, sein eigenes Werk wäre mit dem Vorwurf der resignatorischen Haltung durchaus fehlinterpretiert.
Nestroys Zeitgenossen sahen in seinen Stücken nichts als rasch vergängliches Theatermaterial, das den Tagesbedarf an Unterhaltung und politischer Anzüglichkeit und an dankbaren Rollen für eine Reihe von talentierten Volksschauspielern deckte, unter ihnen Nestroy und der beliebte Komiker Wenzel Scholz. In Nestroys Dialogentwürfen sind die Hauptfiguren gewöhnlich mit N. und Sch. bezeichnet, den Anfangsbuchstaben von Nestroy und Scholz, nicht anders, als ob es sich um A. (Arlecchino) und P. (Pantalone) handelte. In späteren Zeiten mag es V. (Carl Valentin) und K. (Liesl Karlstadt) geheißen haben.
So wird keine hohe Literatur geschaffen, so wird für den Tag geschrieben, und nicht anders hat Nestroy seine Arbeit eingeschätzt. Er wäre verblüfft gewesen, zu hören, daß man ihn eines Tages zur Literatur rechnen würde. Von den 73 Komödien, die er verfaßt hat, lagen nach Nestroys Tod gerade 12 in wenigen Exemplaren gedruckt vor; alles andere vergilbte in den Archiven der Theater und wäre von dort eines Tages als Makulatur verschwunden, wenn nicht das Carltheater 1881 die hundert Jahre seines Bestehens gefeiert und dabei mit einem Akt dankbarer Pietät des beliebten Autors einer vergangen geglaubten Epoche gedacht und einen kleinen Nestroy-Zyklus veranstaltet hätte.
Der wahre Geist Nestroys blieb aber bei seiner Wiederentdeckung unentdeckt. Ihn zu erkennen, war einem einzigen, großen, einem wahrhaft Geistesverwandten vorbehalten. Als aber dieser Einzelgänger und Eigenbrötler, Wiens bestgehasster Publizist, als Karl Kraus 1912, zu Nestroys 50. Todestag mit seiner Schrift Nestroy und die Nachwelt, eben dieser Nachwelt mit Blitz und Donner eröffnete, welches Genie sie in Leben und Tod verkannt hatte, war die Zeit reif geworden für ein solches Erkennen und für die Fälligkeit der kritischen Selbstbetrachtung. Seither zählt Nestroy zur Literatur, nicht zur hohen, aber zur geistig anspruchsvollen, heute würde man sagen: zur schwarzen Literatur. Seither gehört er aber auch zu den Autoren, welche die Bühnen zu stilistischen Überlegungen zwingen, die zeitbewußt, ja bekenntnishaft aufgeführt. werden wollen. Und somit ist weiteren Mißverständnissen Tür und Tor geöffnet, denn unserem heutigen Theater um nicht zu sagen, unserem Theater heute muß man den Köder des Grundsätzlichen nur hinwerfen, und schon gibts nichts mehr zu lachen.
Es ist allerdings nicht ganz einfach, Nestroy, dem übersprudelnden Theatergenie, und Nestroy, dem Schopenhauer der Bühne, wie man ihn früher oft nannte, zugleich gerecht zu werden. Dem äußeren Handlungsverlauf nach sind seine Komödien durch ihre harmlosen Vorlagen bestimmt. Sie verlaufen, dramaturgisch gesehen, nach den Gesetzen der Posse, des Vaudeville oder des erbaulichen Volksstückes. Das Gute siegt, das Böse wird bestraft, die Paare kriegen einander, und Erbtanten sterben im richtigen Moment, um das entscheidende Hindernis vermeintlichen Eheglücks, die Besitzlosigkeit, aus der Welt zu schaffen. (Nein, was im Jahr Onkel und Tanten sterben müssen, bloß, damit alles gut ausgeht !) Aber dennoch: wie oft kriegen die ärgsten Halunken die bravsten Mädchen, wird die Verehelichung als Strafe vollzogen und der kühne Außenseiter ins bürgerliche Leben zurückgeholt, wie oft wird goldverkleisterte Willkür als Deus ex machina bemüht! Wenn die Handlung entsprechend den Erwartungen bürgerlicher Moralbegriffe ins fragwürdige Happy-End gemündet hat, so sind es doch meist die Aufsässigen, die Dick- oder Rotköpfigen, die Zwiderwurzen und Einzelgänger, die dafür gesorgt haben, daß sich die Ordnung der Dinge nachher von selbst ergibt, die Schnoferl, Kampl und Feuerfüchse.
Die wahrhaft elementare Genialität Nestroys sitzt in der explosiven Kraft seiner Sprache, aber auch sie liegt nicht offen zutage; sie kamoufliert sich mit scheinbarer Gemütlichkeit, mit biedermeierlicher Betulichkeit und versteckt sieh hinter Kalauern, Wortspielen und abenteuerlichen Satzverdrehungen und in der Behaglichkeit des wienerischen Dialekts, den man als den bewährtesten Ort friedlicher Geborgenheit zu empfinden bereit ist. Der Dialekt ist Nestroys tückischste Waffe, und hier lauert die eigentliche Gefahr der Wiedergabe.Wir werden heißt es in der erwähnten Schrift von Karl Kraus seiner Botschaft den Glauben nicht deshalb versagen, weil sie ein Couplet war
oder weil er sein Dynamit in Watte wickelte und seine Welt erst sprengte, nachdem er sie in der Überzeugung befestigt hatte, daß sie die beste der Welten sei, und weil er die Gemütlichkeit erst einseifte, wenns ans Halsabschneiden ging.
Erst die Nachwelt, der Kraus im übrigen das Recht bestreitet, sich Nestroy gegenüber sicherer im Urteil zu fühlen, als es die Mitwelt konnte, hat begriffen, wie weit Nestroy über seinen Stoff hinausgriff.
Nestroy erweist im Umgang mit der Sprache seiner Umgebung eine dämonische Gäbe, Menschen und Situationen auf unwiderstehlich komische Weise zu demaskieren und die Dinge durch eine verzerrende Optik ins richtige Licht zu setzen. Fordere kühn, sprich ohne Scheu, wie dir der Schnabel wuchs! Perfekter läßt sich das Mißverhältnis zwischen Gönnerhaftigkeit und angemaßter Hochsprache nicht fassen als in diesem verhatschelten Imperfekt, das genau das Gegenteil des Geforderten ausdrückt.
Was sich in Nestroys Sprache vollzieht, ist immer ein Urteilsspruch. Er ist inappellabel, kann aber nur in dieser Sprache vollzogen werden. Er ist an die Sprachlandschaft, die wortmusikalische Nuance gebunden. Nestroy ist unübersetzbar. Er ist vor allem nicht ins Hochdeutsche zu übersetzen, selbst wenn manche Wort- und Situationswitze in annähernden Werten wiedergegeben werden können. Nestroy sei also möchte man schließen nur von echten Wienern und ausschließlich wienerisch zu spielen. Hier liegt das nächste, weitverbreitete und verhängnisvolle Mißverständnis vor: Nestroys Sprache ist wienerisch, und jede Sprachnuance hat ihre Quelle in der wienerischen Farbe. Aber sie hat nichts mit dem Vulgärbegriff des Wienerischen zu tun. Nestroys Sprache ist in jeder Phase eine Kunstsprache. Mit einer Übersetzung tut man ihr so unrecht, als wenn man Nestroy im vulgär wienerischen Ton sprechen läßt, in dem Dialekt, den nicht ganz Unbewanderte, aber tief Ahnungslose hernalserisch, ottakringerisch oder gar pülcherdeutsch nennen mögen. Wo diese Dialektfarbe auftaucht es geschieht nur in seltenen Momenten ist auch sie von Nestroy stilisiert und bewußt als Kunstmittel eingesetzt. Anzengrubers Vorstadtwienerisch oder Steinsteirisch sind naturalistische, der baren Wirklichkeit nachgebildete Urlaute im Vergleich mit den durch Bildungsbesessenheit und Burgtheaterfärbung pathetisch überhöhten Sprachexzessen der anspruchsvollen, inbrünstig bildungsgläubigen Figuren Nestroys.
Es gibt bei ihm keine Gestalt ohne Bildung oder Bildungshunger, keinen Charakter ohne Standesehrgeiz. Der dümmste seiner Hausdiener, der tölpelige Melchior im Jux bedient sich der ständigen Redensart Das ist klassisch, nicht weil er so etwas einmal aufgeschnappt hätte, nein aus heißer Verehrung für das Höhere, dem noch die niedrigsten Gestalten in Nestroys Possen anhängen. Den Schuster Knieriem mit seinem Hang zur Astronomie, der vor dem Kometenlied den ungeheuerlichsten Bandwurm von pseudowissenschaftlichem Gallimathias abspulen muß, gegen den Ionescos sprachliche Leerlaufkaskaden harmlose Kinderabzählverse sind, der dicke Fass in dem kleinen Zweiakter Verwirrte [Verwickelte] Geschichte, der mit glühender Leidenschaft dem Deutschen Bund anhängt und in jedem Bierglas die Morgenröte der Freiheit aufleuchten sieht; ganz zu schweigen von den wirklich Hochgebildeten, dem Journalisten Ultra, dem Winkeladvokaten Schnoferl, oder den zu ihrem Kummer nur Halbgebildeten, mit dem Streben nach Höherem Behafteten, wie der Mussi Weinberl, der Leben und Merkantilisches vergleicht, oder Titus Feuerfuchs, der es gerade bis zum intellektuellen Zurseitesteher bei einem schöngeistigen Blaustrumpf bringt sie alle haben den Zug nach oben; gemeinsam bilden sie eine hoffnungsfrohe Schar von Fortschrittsgläubigen, und gemeinsam werden sie von ihrem Schöpfer, dem satanischen Vorstadtphilosophen, im Stich gelassen und in der Mühle des ihnen auferlegten Angestellten-, Ehekrüppel- oder Kridatarenschicksals aufgerieben. Sie alle versuchen, sich an der Hochsprache, die ihnen die Nähe höherer Wesenheit verbürgt, emporzuranken. Tu ich nicht das Mögliche? stöhnt ein Kellner, der ebenso verliebt in ein Mädchen ist wie in die von ihr zu erwartende Mitgift, Ich red so hochdeutsch, daß mich unsre täglichen Gäst alle ein faden Kerl heißen!
Nestroys Kunstsprache besitzt Rhythmus und ist darum klarer und verständlicher als unser breiiges Alltags- und operettenwienerisch, sie ist aggressiv und pathetisch und bringt ein völlig neues Element in den österreichischen Dialekt: die Dialektik.
Dennoch das Theater, das Nestroy nur von seiner Sprache her beikommen will, wird uns die Hälfte seines Wesens vorenthalten: sein Komödiantentum. In einem berühmt gewordenen Nachruf auf den Dichterkomödianten heißt es:
Pan ist tot! Nestroys satirisch spielender Mund ist verstummt, sein dunkles, leuchtendes Auge sprüht nicht mehr elektrische Witzfunken, sein Körper verrenkt sich nicht mehr zum satanischen Cancan, zum Gliederspiel des grotesken Tanzes seiner Worte.
Der geniale Worttänzer widersetzt sich mit jeder Faser der Einreihung in eine Klassizität, zu der ihn unsre humorlosen Nestroypuristen ein groteskes, aber oft gehörtes Wort, das von ihm selbst stammen könnte verurteilt wissen wollen. Nestroy wie großartig sein Verdienst um eine neue Bühnendialektik sein mag gehört den Komödianten, nicht den Literaten. Für die Literatur hatte er keine Zeit. Er starb mit 62 Jahren, nachdem er die letzten Lebensjahre in Zurückgezogenheit verbracht hatte. Zu seiner eigentlichen Bestimmung gelangte er spät, denn erst nach einem juristischen Studium und kurzer Kanzleipraxis kam er zum Theater, aber nicht als Komiker und noch lange nicht als Stückesehreiber, sondern als Basso serio. Seine erste Partie war der Sarastro, dann sang und spielte er sich durch das ganze ernsthafte Opern- und Schauspielrepertoire vom Kaspar im Freischütz bis zum Gessler im Wilhelm Teil, ehe er endlich an seine eigentlichen Rollen gelangte, in die Komikerkarriere, die es schließlich mit sich brachte, daß er sich seine Rollen selbst zu schreiben begann. An die 900 gespielte und gesungene Rollen, 83 Komödien, in denen er fast immer die Hauptrollen spielte und sang, und am Ende noch, nach Karl Carls Tod, die Direktion des Theaters in der Leopoldstadt; in seinem Nachlaß fand sich ein Vorrat von einigen hundert Bonmots und Aphorismen, die er gelegentlich zu verwenden gedachte
Ist es da verwunderlich, daß seine Texte von unterschiedlicher Qualität sind, daß ganze Akte nur eben skizziert und, offenbar in Zeitnot, sozusagen als Gerippe für nachträgliche, komödiantische Improvisationen roh hingeworfen sind? Mußte er sich nicht auch ein Leben lang mit der Zensurbehörde herumschlagen, die ihm das Extemporieren und Improvisieren verwehrte? Man vergleiche etwa (in Rommels und Brukners kritischer Ausgabe) die Originalfassung der berühmten Briefszene aus dem Lumpazi mit der zerspielten, unsinnig komischen Fassung, in der sie später, nach unzähligen Aufführungen, von Generationen von Komikern improvisatorisch erweitert, auf uns gekommen ist, und erzähle uns dann etwas von der Heiligkeit der Nestroyschen Texte! Natürlich gibt es heilige Stellen bei Nestroy, an denen zu rütteln Todsünde wäre.
Ha, so zerschmettert, ihr Kniescheiben! Stürz nieder, Winkelagent! So eine Seligkeit kann der Mensch nicht als so stehender ertragen!
Sie sind eine Handarbeiterin, die Fuß fassen will in den Herzen der Männer, indem sie ihnen die Kopf verrückt durch melancholischen Anstrich und scheinheilige Kokettur! Sie werden um kein Haar anders sein als wie die, die um kein Haar anders sind als wie Sie, spielen aber die überspannte, die Reine, die Verklärte, als wie die Jungfrau von Orleans, bevor s zum Militär gangen is.
Das sind die psychologischen Quadrillierungen, die das Unterfutter unseres Charakters bilden.
Das sind nur drei Zitate aus einem einzigen Meisterwerk, dem Mädl aus der Vorstadt, und mit solchen Kostbarkeiten ließen sich ganze Bände füllen. Und doch möchte man wünschen, es fände sich der respektvolle Bearbeiter, der aus Freiheit in Krähwinkel, dem Stück mit dem besten ersten Akt, den Nestroy verfaßt hat, ein aufführbares Theaterstück machen könnte. Und wieviel Schätze ließen sich aus den vergessenen Komödien, den Parodien heben, und den Couplets, von denen nichts Bestand hat als die genialen Refrainzeilen, die, aneinandergereiht, ein Kompendium des Skeptizismus ergebenwürden!
Das Wiener Theater, seit jeher durch Eigenlob und Selbstgefälligkeit gefährdet, besitzt vor den anderen deutschen Theaterlandschaften einen unschätzbaren Vorteil. Der Typ des Wiener Volksschauspielers ist nie ausgestorben. Ein Genie, wie Nestroy es war, ersteht wohl kaum einmal in einem Jahrhundert, aber so, wie auch er nur einer in einer ganzen langen Reihe von außerordentlichen Künstlern war, gab es nach ihm die Knaak und Krastel, Girardi und Pallenberg, Thaller, Tyrolt, Mayerhofer und Moser und gibt es heute eine ganze junge Generation von begabten Komödianten, die Nestroys Tradition weiterführen und dort lebendig erhalten, wo sie ihre Wurzeln hat, auf dem Theater, auch wenn es nicht immer die etablierten und repräsentativen Bühnen sind. 
Otto Schenk: Zunächst einmal soll man von mir kein Rezept erwarten für einen Nestroy-Stil, denn bei jedem Stuck und das gilt selbstverständlich auch bei Nestroy sollte eigentlich das Theater neu erfunden werden. Man könnte eher den umgekehrten Weg gehen und sagen, daß die bisherigen Rezepte und einschränkenden stilistischen Elemente einerseits dem großen Dichter Nestroy, anderseits dem Theaterpraktiker und vor allem dem um den Erfolg eines Abends kämpfenden Schauspieler Nestroy in keiner Weise gerecht wurden.
Die erste große Frage erhebt sich schon bei den Stücken als solchen, die ja von Nestroy am laufenden Band für den Bühnenbedarf geschrieben und nicht einmal erfunden wurden, sondern auf übernommenen Vorlagen basieren. Soll man diese Stucke überhaupt bearbeiten? Es gibt in jedem Nestroy-Stück Stellen, die von ihm wörtlich gespielt wurden, die einen eigenen, fast schillerschen Duktus haben, eine spezifische, geradezu klassisch hochdeutsche Diktion, die sich nur des Dialektes als Ausdrucksmittels bedient; diesen Stellen sollte man die gleiche Endgültigkeit zubilligen wie der Sprache Kleists, Schillers und Goethes. Sie haben absolut unberührt zu bleiben, und wörtlich soll aus ihnen herausgeholt werden, was dieser Dichter da zu sagen hatte. Dann gibt es wiederum in jedem Stück komödiantische Szenen, Quodlibets und Übergangsszenchen, die dem Dichter sichtlich nicht so am Herzen lagen wie die Kernszenen des Stücks, mit denen er recht eigentlich sich zu einer Aussage bekennt. Es ist absolut unstatthaft, einen Nestroy-Monolog zu fälschen.
Nun zur Aufführungspraxis: Schon das Publikum ist falsch unterrichtet und siedelt Nestroy in der Gegend des Gaudiums, der Lustigkeit, ja sogar der Operette an, erwartet womöglich einen Bunten Abend. Es sollte eher mit der Einstellung ins Theater gehen, mit der es zu Brecht oder zu einem satirischen Stück zu gehen bereit ist. Das schließt natürlich das Lachen nicht aus, aber Nestroy ist kein Dichter, der geschrieben hat, um zu unterhalten oder um nur zu unterhalten. Das Falsche dieser Ansicht fällt am meisten ins Auge, wenn man die Bühnenbilder einer mittelmäßigen üblichen, oft sehr erfolgreichen Nestroy-Aufführung sieht. Diese ganz falschen Bühnenbilder gaukeln meist eine Gemütlichkeit vor, die den Wiener Heurigen und der Wiener Fremdenverkehrspropaganda nähersteht als einem satirischen Dichter. Das Nestroy-Bühnenbild hat spartanisch zu sein, klassisch in seiner Linie, auf das Notwendigste reduziert, die Lokalitäten eher kommentierend als ausmalend, das Milieu bestimmend, aber nicht überzeichnend. Man muß das Gefühl haben, daß in diesem Bühnenbild etwas anderes wichtiger ist als das Dekor, etwas, das mit dem Wort, der Sprache, mit der Satire zu tun hat.
Diese falsche Form entsteht vielleicht aus dem Mißverständnis, das durch das Wort Biedermeier erweckt wurde. Biedermeier hat selbstverständlich zwei Gesichter; es war nicht nur die Zeit der Gemütlichkeit, der Blumenbilder, der Miniaturen, der Idylle, sondern es war auch die Zeit der beginnenden bürgerlichen Revolution, der großen sozialen Gegensätze, die Zeit des Bürgertums, das sich seiner selbst bewußt wurde, es war die Zeit einer strengen, unerbittlichen, diktatorischen Zensur. Es gab in Wien in dieser Zeit bei einer Revolution immerhin zweitausend Tote innerhalb von wenigen Tagen. Nestroy hat zu dieser Zeit Stellung genommen. Außerdem war sein Volkstheater immer von der intellektuellen Oberschicht Wiens besucht. Seine Stücke waren weit entfernt von der Volksbelustigung eines Bäuerle, Meisl oder Gleich. Das neue Stück von Nestroy war immer ein kulturpolitisches Ereignis, über das ganz Wien diskutierte.
Nestroys Theater ist ein gescheites Theater. Es ist das Gegenteil eines naiven Theaters, und es bedarf gescheiter Schauspieler. Mit dem üblichen Volkskomiker ist der Sache nicht bei zukommen. Dieser wird nicht einmal die Diktion Nestroys befriedigend treffen. Es bedarf eines Erzkomödianten mit brillanter Sprechtechnik, es bedarf des Temperaments, das vielleicht mit dem französischen esprit verwandter ist als mit der behäbigen Natur eines wenn auch guten Volkslieblings. Nun sind wir dort, wo ich glaube, daß Nestroy am meisten geholfen werden müßte: beim Wort. Alle Hauptrollen ich spreche hier von den Nestroy-Rollen, die er selber gespielt hat gehen über das Milieu und über den Beruf, den sie ausüben (er wählt immer einen typischen Berufsstand), hinaus. Das Vokabular der kleinen bildkräftigen Welt eines Berufsstandes wird aufgebläht, und mit den Worten, zum Beispiel eines Schreibers, wird die Situation der Welt eingefangen. Diese hypertrophischen Redseligkeiten seiner Hauptrollen, die so erregt werden, weil einfach der Gegenstand, den sie zu kommentieren haben, ein so erregender ist, führen zu einer abstrusen Komik, die sich aus dem Zuviel an Worten ergibt. Sie drücken sich nicht einfach aus, weil ihnen die Welt so kompliziert ist.
Ein Punkt, der immer wieder zu Mißverständnissen führt, ist, daß das Gleichgewicht zwischen Text und Musik, das bei Nestroy in geradezu genialer Ökonomie gesetzt ist, immer wieder durch zusätzliche Couplets und Opernparodien gestört wird. Wenn man seine Stücke liest, sieht man, mit welchem Raffinement eine Situation dorthin führt, wo das Couplet in einem Punkte der Verzweiflung oder Ratlosigkeit oder gar Resignation elementar ausbricht, wo, um mit Giraudoux zu sprechen, der Darsteller es nicht mehr sagen kann, es singen muß. Es ist meiner Ansicht nach undenkbar, an Punkten, wo Nestroy keine Musik verlangt, wo kein Couplet steht, eines mühsam hineinzuflechten. Eine ähnliche Gefahr ist auch, Nestroy selbst zu bestehlen, das heißt aus anderen Stücken Couplets einzuführen oder gar Figuren Couplets singen zu lassen, die nicht coupletfähig sind. Das gilt besonders für viele Frauenrollen, die bei Nestroy immer nur reflektorische Stimmungslieder singen (zum Beispiel Salome Pockerl), aber nie eines satirischen Couplets fähig wären. Einen musikalischen Abend aus einem Nestroy-Stück, ein Wiener Potpourri aus diesem Gegner alles Gemütlichen zu machen, kann diesen Dichter nur verfälschen. Die Musik von Wenzel Müller, Binder oder anderen Komponisten Nestroys muß, in den Fällen, wo sie existiert, gespielt werden. Die Primitivität dieser Musik ist ein Kunstmittel; das Raffinieren von Nestroys Musiken bringt ihn um seine direkte Wirkung. Die Couplets wurden nicht gesungen, um einen musikalischen Genuß zu erzielen, sondern waren zweckgerichtet, fast leierkastenartig, um mit aus dem Wienerischen kommenden konventionellen Mitteln etwas Unkonventionelles, das vom Text her dazukam, zu begleiten und zu unterstreichen. Wäre die Musik der Kompliziertheit des Textes adäquat, würde, man ein gekünsteltes Raffinement spüren, das der Scheinheiligkeit eines Couplets Nestroys konträr wäre.
Nestroy tut nur so, als ob er ein naiver Dichter sei, er tarnt sich in der Volkskomödie, er ist ein fast gelehrter, belesener, hochgebildeter Mensch, der sich einer vorhandenen Theaterform bedient, um heimlich in ganz andere Bereiche vorzudringen. Diese Einfachheit, dieses Als-ob, muß auch heute noch in einer idealen Nestroy-Vorstellung spürbar sein. Nestroys Theater entstand auf der Bühne (er ist da Shakespeare und Molière verwandt) und nicht am Schreibtisch. Er galt als unspielbar, als er starb; sein Theater schien mit ihm identisch. Es bedarf der Schauspieler mehr noch als der Regisseure, und meiner Erfahrung nach habe ich einen Nestroy-Abend immer am meisten genossen, wenn der Nestroy-Schauspieler gut war. Sämtliche Zutaten waren plötzlich unwichtig, und es war gleichgültig, in welcher Dekoration zum Beispiel Karl Paryla sein A da hab i scho gnua gesungen hat. Auf der Bühne und aus dem komödiantischen Gefühl heraus sollten nur die Übergangszenen und die schwachen Szenen Nestroys bearbeitet werden, und man wird sich wundern, wie wenig da eigentlich noch zu bearbeiten ist. 
Helmuth Matiasek: Er ist heute der Vielzitierte. Seine Aphorismen über die Armut, die Obrigkeit, den Ehstand bieten sogar Stoff für Partygespräche. Man kann bei Nestroy nachschlagen, wenn man Literaturkenntnis, Austrophilie und Humor in einem beweisen will. Er gehört zum guten Ton der Esoteriker, die im Süddeutschen eine verborgene komödiantische Kraft vermuten; Nestroy-Sprüche werden gesammelt wie Jahrgänge der Fackel und Schallplatten von Qualtinger oder Georg Kreisler.
Aber der Spruchmacher Nestroy verdiente es auch auf anderen Ebenen lebendig zu bleiben, auf unseren Bühnen etwa, wo er vernachlässigt, regielich mißdeutet, darstellerisch meist verlacht wird. So vordergründig aufgetischt werden seine Stücke, die heute noch wie damals volle Häuser machen, unter viel unreflektiertem Gelächter abserviert. Nestroys Reflexionen, denen nichts Menschliches fremd ist, sein witziger Pessimismus, seine mehrfachbödige Eloquenz, dies alles verfällt der Theaterroutine, die sich längst ein Passe-partout für Nestroy zurechtgelegt hat. Wieder einmal erweist sich die Nachwelt als undankbar.
Wer wird nicht einen Klopstock loben? Nestroy wird gelobt, wo die Dramaturgien ihn ausplündern sollten. Er wird beachtet unterschätzt, wie dies seit Georg Büchner mit deutschen Theaterdichtern geschieht. Man begnügt auch damit, von ihm viel zu wissen: daß er dankbare Rollen geschrieben hat, dass er ein Wiener Aristophanes sei, der unter die scharfzüngigen Philosophen Lichtenberg und Jean Paul einzureihen ist, dass er auch den Ahnherrn der satirisch-makabren Schriftsteller des 20. Jahrhunderts abgeben könne, für Horváth und Dürrenmatt, für Karl Kraus und den Herrn Karl.
Vorstadtkinos in Wien tragen noch Nestroys Namen, aber dieser Name ist durch keine Truppe in die Welt getragen worden wie Goldoni durch Mailands Piccolo Teatro und Molière durch die Comédie-Francaise oder das T.N.P. Und, abgesehen vom Export, es scheint ihm selbst an nationalen Pflegestätten zu mangeln; er ist beispielsweise keine Konstante im Repertoire der Salzburger Festspiele geworden. Groß ist die Klage, es gäbe zu wenige deutsche Komödien. Nestroys Komödienwerk, immerhin in einer deutschen Sprache geschrieben, ist schon dem Umfang nach ausreichend, seinen Dichter neben Hans Sachs als fruchtbarsten komischen Stückeschreiber, den die Germanistik kennt, bestehen zu lassen. Das zählte nicht viel, wenn der Staub auf seinen durch die k. u. k. Zensur gequälten Manuskripten zu dick geworden wäre. Aber es herrscht Einigkeit, daß Nestroys brillanter Spott erweckungsswürdig, geradezu modern ist. Wer zögert also warum?
Wien wäre am Zug. Am dünnen Faden spinnt sich dort eine Nestroy-Tradition aus den Tagen des Meisters bis zu uns. Sie besteht im wesentlichen aus der Tatsache, daß Nestroy-Possen monoton regelmäßig im Repertoire vorgesehen sind, als Pflichtübung gewissermaßen, und daß sich Experimente im Aufführungsstil von selbst verbieten. Der Lokalstolz weiß zu genau, wie Nestroy ist und ankommt, man braucht aus ihm keine Frage zu machen. Das ist fraglich. Denn es gab fette Nestroy-Jahre, als noch eine Garde wie Inge Konradi, Karl Paryla, Hans Putz, Karl Skraup und Hugo Gottschlich am Volkstheater versammelt war, und magere, wenn die Fernsehkomiker und angeblich populären Alleinunterhalter ihr Rollenwahlrecht auch für Nestroy geltend machten.
Außerhalb Wiens macht sich unbegründete Skepsis breit. Man hält den Dichter in Lübeck für zu süddeutsch, in Karlsruhe für zu österreichisch und in Innsbruck für zu wienerisch, um bedenkenlos seine Aufführungen zu planen, wie dies mit anderen mentalitätsgebundenen Autoren, selbst John Synge und Eduardo de Filippo, geschieht. Man vergißt, daß das große Komikerkleeblatt zu Nestroys Zeit aus einem Wiener, einem Brixener und einem Hamburger bestand. Kierkegaard erinnert uns an Berlin als Stadt mit großer Nestroy-Tradition. Die Scheu vor der wienerischen Hürde ist eine der Todsünden, die an Johann Nestroy begangen werden. Seine Sprache bedient sich des Wienerischen als Stilmittel, sie darf nicht als deftiges Lokalkolorit mißverstanden werden. Aber eine Sünde zieht zwei nach sich. Die Flucht aus dem Strafraum Wien, so glaubt man in vielen deutschen Intendanzen, kann man nur durch eine österreichische Besetzung oder durch Bearbeitung schaffen. Ersteres ist gefährlich. An Dreispartentheatern mittlerer Größe sind oft die Operettenleute, Tenöre wie Buffi, im Besitz eines österreichischen Reisepasses. Zu allem Unglück glaubt man, einer Posse mit Gesang zugleich mit geschulten Singstimmen auf die Beine geholfen zu haben. Das Ergebnis sind auf Operettenart verwüstete Inszenierungen, durch viele Witze und bunt aufgemöbelte Ausstattung auf einer niveaulos falschen Ebene abgehandelt und meist die Publikumserwartung auf große Musik und Sentiment enttäuschend.
Zur Todsünde Bearbeitung: Nestroys Stücke hatten bereits die Feuerprobe vieler Aufführungen hinter sich, wenn sie zum Druck vorlagen. Was wir in der Rommel-Ausgabe lesen, sind bereits im Sinne der Bühnenpraxis bearbeitete Stücke, auf straffe Handlung hin gestrichen und pointenbewußt. E liederlig Kleeblatt (nach Lumpazivagabundus) und Geliebter Lump (ein niedliches Lustspiel nach dem galligen Talisman) gehören auf den Index. Ganz anders steht es etwa um die durch einen einfachen Strich gewonnene Schlußversion in Lumpazivagabundus oder die neue Testamentszene im Zerrissenen, beides aus der Feder des für Nestroy kompetenten Hans Weigel. Neuere Bühnentechniken dürfen selbstverständlich das Szenengefüge verändern, wie der Drehbühnen-Jux von Leopold Lindtberg oder eine Talisman-Version des Schreibenden für die Stadtbühnen Köln (ein Ablauf szenischer Stationen erst, vorwärts, dann rückwärts, der steilen Karriere, bzw. dem Niedergang des Titus entsprechend).
Bearbeitungen, die eine plausible Regieabsicht aus der Stückfabel heraus deutlich werden lassen, dürfte Nestroy ohne Schaden überstehen. Aber Inszenierungsmethoden, wie sie häufig aus Mißtrauen gegen die Tragfähigkeit des konventionellen Handlungsgeschehens praktiziert werden, bieten einen ganzen Katalog an Unsitten dar: Verniedlichungen, breite gemütliche Komik, dem amerikanischen slapstick entlehnte Gags. Auch im Klischeebild vom Zauber des Biedermeiers ist der wahre Nestroy im Käfig. Er spottet der historisierenden Beschreibung. In seinen Stücken ist das vormärzliche Wien nur Ausgangspunkt für seinen aufgeklärten Witz, gibt nur den Gegenstand der Entlarvung ab. Seine Figuren scheinen förmlich aus der engen Kulisse in die Gegenwart springen zu wollen, sie distanzieren sich in pausenloser Suada von ihren dummköpfigen Zeitgenossen, die eigene Rolle inbegriffen, sie desillusionieren Biedermeierliches in herzloser wie herzhafter Kritik. Nach einer stillen Übereinkunft unserer Bühnen werden Autoren oft in dem Zeitstil dargestellt, von dem sie seinerzeit mit allen Kräften loszukommen suchten; Goldoni als commedia dellarte, Lessing und Beaumarchais durch tänzelnde Rokokofiguren. Aber wie sich die Barbarei des Absolutismus hinter Watteau-Grazie tarnte, so wenig können die handkolorierten Kupferstiche aus Bäuerles Theaterzeitung etwas von der wahren Lügenfassade der fossil gewordenen Donaumonarchie vermitteln. Nestroy war der große Verspotter seiner Zeit, in seiner Art ein Bilderstürmer, und deshalb kann man ihn durch gestellte Tableaus und choreographische Stilübungen à la Biedermeier nicht wiedergeben. Man kann es, wenn man gleichzeitig den pseudotugendlichen Kleinbürgersinn sichtbar macht, den Krinoline und Hausmusik so ängstlich verdeckten. Man könnte den aufhaltsamen Aufstieg des Titus Feuerfuchs an das Lehrstück Brechtscher Schule annähern oder im Abscheu gegen die rote Haarfarbe (beides aus Talisman) etwas wie absurdes Theater sehen.
Seiner Zeit um eine Nasenlänge voraus, kann Nestroy manche spätere Stilrichtung vorwegnehmen, auch das sozialkritische Volksstück, auch das politische Kabarett. Gerade in unserem Jahrhundert ist er zu Hause. Karl Kraus war es, der das Wertvolle in Nestroys Oeuvre fanatisch verteidigte und ihn damit einer modernen Interpretation öffnete. Kraus hat viele sogenannte Zusatzstrophen zu den Couplets verfaßt und damit einen Weg aufgezeigt, wie man Nestroy modernisieren darf. Ein solch richtiges Verständnis, in dem die Kraus-Schüler Torberg und Weigel großen Anteil haben, sollte bewirken, daß Nestroy überall im deutschsprachigen Theater der ihm gebührende Raum in den Spielplänen eingeräumt wird. Er soll besser auf hochdeutsch, mit kleinen, erlernbaren Austriazismen, gespielt werden als gar nicht. Er sollte auch mit Glück, Mißbrauch und Rückkehr und mit Heimliches Geld, Heimliche Liebe und vielen anderen ungeborgenen Schätzen zu Wort kommen anstatt immer nur mit der Fünfzahl seiner klassischen Stücke.
Nestroy empfiehlt sich seiner Nachwelt zur Erneuerung, ohne Heiligenschiein und Komödiantengetue. Er stellt jeder nichtnaiven Auslegung offen. Nach hundert Jahren sollte man ihn endlich plündern. Sein vorgestrig befracktes Wien ist nur ein Gleichnis wie das Bühnenengland Shakespeares. Und er verdient wie Shakespeare, daß heutige Regieformen an ihm gemessen werden. 
Gerhard F. Hering: Sie adressieren sich mit ein paar kniffligen Fragen zum Thema der Nestroy-Inszenierungen heute an Regisseure, die, Umgang mit diesem Dichter hätten. Ich habe keinen solchen, werds wahrscheinlich auch nie dorthin bringen, fühl mich also beherzt genug, Ihnen zu antworten. Auch erlauben Sie mir, bitte, vorauszuschicken, welche Regisseure Nestroyscher Szenarien in unsern Jahren ich als produktiv empfand: Axel von Ambesser, Bruno Hübner, Werner Kreindl, Leopold Lindtberg. Von Fehling und Hilpert sah ich nur Raimund, und ich weiß nicht einmal, ob sie je Nestroy inszenierten; wenn ja, so könnte es nur wunderbar gewesen sein.
Von Bruno Hübner war, als man ihm noch Gelegenheit gab, in München zu inszenieren, Nestroy deswegen so faszinierend zu sehen, weil er (in einem der wenigen Fälle, wo dergleichen legitim ist und schließlich von Nestroy selbst sanktioniert wird) auch die Szene betrat, die er in Szene gesetzt hatte. Und er schlenkerte dann so fadendürr und todtraurig aus den Gassen, die er nach den Nestroyschen Mustern eingerichtet hatte, daß man lieber gleich eher geweint als gelacht hatte. Auch brachte er alsbald mit, was Karl Kraus an Nestroy bindet. Und nun bemerke ich eben, daß ich doch noch einen Nestroy-Regisseur vergaß. Es ist Rudolf Fernau, jetzt im Ensemble des Schiller-Theaters Berlin. Seine trefflichen Aufführungen für die Württembergischen Staatstheater in Stuttgart liegen ein weniges zurück. Er pflegte nun komm ich auf eine Ihrer Fragen überhaupt nichts zu modernisieren. Er traute, es ist schrecklich, so etwas zu äußern, den Texten selbst. Er legte auch gar nichts ein. So im Sinne von: actuelle Couplets. Er schien, stillschweigend, vorauszusetzen, daß Krähwinkel halt unsterblich ist. Und so verhält sichs ja wahrscheinlich. Sollte ich eine Summe ziehen all dessen, was die hiermit nun genannten Regisseure (andere kenn ich leider nicht) bewirkten, indem sie bei den Sachen blieben, so wäre es das, was auch ich mir, falls ich Nestroy zu inszenieren vermöchte, als eine Gebrauchsanweisung vornähme: Dynamit als Marzipan zu transportieren und die ziemlichen Mengen von Vitriol, als wären sie Tokayer.
Auch wurde, in diesem Fall vielleicht bei Bruno Hübner am schärfsten, das Verhältnis dieses welthaltigen Dichters zum Geiste der Sprache vorgeführt: eine Art pas de deux als corps à corps. Hier entstünde auch ein eher sich noch steigerndes Malaise: ein Publikum von heut, das die Sprache weithin nur noch aus den Spruchbändern der comic strips entgegennimmt und aus den Sprachstummeln, deren man sich bedient, als wären es Kippen aus der Gosse, ist schwerlich für diese Subtilitäten zu gewinnen. Diese Sprache, dort, wo ihr satirischer Rang vom Geiste des Aristophanes und Juvenal ist, bedarf, um entgegengenommen, und kapiert zu werden, einer gewissen (geistigen) Anstrengung. Und wer will dergleichen denn heute schon. Ein vergleichbares Beispiel fände sich bei dem Grafen von Platen. Auch dessen Literaturkomödien kennen jene substantivische Potenzierung, die Aristophanes zum erstenmal für die Bühne in Gang gebracht hat. Im Sinne, beispielsweise, von ich bin eine Schwertgeklirrische (wie Nestroys Jungfrau von Orleans meint). Und wer weiter läse, stieße noch auf mancherlei. Nicht nur im Verhältnis zum Substantivum, sondern auch zum Verbum. Hier hätten wir, könnte Gerhart Hauptmann mit den Märkern gesagt haben, den wahren Jakob (vielmehr Johann Nepomuk). Und von dort her ließe sich rasch ein kleiner Seitensprung wagen. Zu dem prominentesten Nestroy-Bearbeiter unserer Jahre, einem gewissen Thornton Wilder (Die Heiratsvermittlerin). Hier, wo über eine französische Vorlage ein Wienerisches in das Englische gehracht werden sollte, erwies sich, dass es unserem Verehrungswürdigen aus den Staaten eben nicht gelang, den Geist der Sprache so zu jonglieren wie Rastelli seine zwölf Teller. Deutlich wurde, dass Nestroy dort platt bliebe, wo wir nur seine Situationen nähmen und seine Typen (wenngleich diese alle keine Typen sind, sondern Charaktere). Gemeint sind nicht die Veränderungen, die Wilder sich erlaubt hat, sondern jenes funkelnde Florettieren mit der Sprache selbst. Ein Reichtum, als käme noch aus dem Futter eines alten Mantels mindestens mehr als nur ein neues Gewand.
Die Situationen Nestroys dürfte jeder Regisseur am ehesten treffen. Und mit ein paar Strichen, wie sie sich verstehen, schnurrt dann der Automat. Aber auch nur dieser. Was dahinter liegt, das wäre es. So auch das Kostüm, so auch die Szene. Warum denn nicht biedermeierlich? Und warum denn nicht als: keine Parodie?
In summa: und so kämen wir denn zurück zu den Herren von Ambesser, Fernau, Hübner, Kreindl und Lindtberg spielen, was ist, auch die Musiken, möglichst wenig Zusätze, am besten gar keine; jene Welt abbilden, die Nestroy abgebildet hat, denn sie ist auch in der Epoche der Satelliten identisch geblieben mit der seinen, insofern der Mensch so heut wie damals lacht und weint, ein Schurke ist und ein Frechdachs, ein Romantiker und ein Utopist.
Auf der Bühne unserer Phantasie wäre Nestroy dort als Welt im Sinne von Kosmos und Mundus komplett, wo seine Regisseure, vom Rang dieser hier, beides treffen: seinen geschwärzten, seinen geschmerzten Humor, seine Galle, seine Süße. Wer Nestroy inszeniert, macht sich ein schönstes Abenteuer allen Theater-Spielens: er geht aus wie jener im Alten Testament, der seines Vaters Eselinnen suchen wollte und ein Königreich fand. Er hat keinen Humoristen vorzuführen und keinen Spaßmacher, keinen Fabrikanten von Lazzi und keinen Parterre-Akrobaten für ein plattes Amüsierbedürfnis, sondern ... Sondern was? Das schmerzliche Lächeln eines gefallenen Engels und die Wehmut, einer vergeblichen Suche nach dem verlorenen Paradies. 